Review: Mera Luna 2011 (13.+14. August 2011, Hildesheim)

Wenn Zeit keine Rolle spielt: Schwarzen Familientreffen glänzt mit bewehrten Klassikern.

Foto: Torsten Volkmer

Foto: Torsten Volkmer

Wenn die Betreiber des kleinen Flughafens in Hildesheim-Drispenstedt ein Wochenende im Jahr keine Starts und Landungen dulden, dann ist ganz klar wieder Mera-Luna-Zeit. In diesem Jahr ging das zwölfte Familientreffen der Schwarzen Szene, das im Jahr 2000 als Nachfolger des damals in Hildesheim etablierten Zillo-Festivals startete, am 13. und 14. August über zwei Bühnen auf dem Flugplatz. Wie immer in dunkel-düster. Selbst Petrus schien sich anzupassen und hauchte den Himmel zeitweise farblich passend an.

Aber der eine oder andere Regenschauer tat weder Stimmung noch illustrer Kostümierung einen Abbruch: Wimperntusche gibt's auch in wasserfester Version – und Lack und Leder lassen ohnehin erstmal kein Wasser durch, dass am Sonntag bis in die Nachmittagsstunden in Schauern über die 20.000 feiernden Fans der Schwarzen Szene herabrieselte.

Doch zuvor eröffneten am Sonnabend Winterspring aus Sachsen-Anhalt das Festival auf der Hauptbühne. Die Electro-Grunge-Rocker hatten das Rennen um den Titel des „M’era-Luna-Newcomers 2011“ gewonnen. Danach eroberten Bands wie die Mittelalter-Elektroniker um Qntal oder die Metaler von Equilibrium die Bühne.

Foto: Torsten Volkmer

Foto: Torsten Volkmer

Was später noch folgte, war eine Reise, man könnte fast sagen zu den Wurzeln aller Düsternheit: Während die Frankfurter um Alexander „Asp“ Spreng dem „Tempel of Love“ der Sisters of Mercy in einer brachial-genialen Version huldigten, flirtete Within-Tamptation-Frontfrau Sharon den Adel mit Iron Maiden. Und die Klassik-Rocker Apocalyptica feierten ohnehin einen ihrer größten Erfolge mit Metallica-Covern. Selbst die Blutengel-Elektroniker reisten in die Vergangenheit – wenn auch in ihre eigene – und kramten den zehn Jahre alten Song „Black Roses“ aus ihrem Schatzkästchen.

Zu einer Zeitreise luden am Sonntag auch Industrial-Electroniker um Peter Spilles: Passenderweise beim Song „Timekiller“ vom Album "Daimonion" holte sich der charismatische Frontman seinen And-One-Kollegen Steve Naghavi als Verstärkung auf die Bühne. Da hatten aber die Damen von Coma Devine das Publikum an diesem Tag bereits verzaubert, die Mannen von End of Green zu doomigen Gitarren die Mähnen geschüttelt und Tanzwut-Teufel zum Tanz der Dudelsäcke gebeten.

Foto: Torsten Volkmer

Foto: Torsten Volkmer

Kein Blatt Papier hätte allerdings mehr auf den Boden fallen können, als VNV Nation die Hauptbühne betraten: So voll hatte wohl selbst Bandgründer Ronan Harris die Wiese vor der Bühne kaum gesehen. Immer wieder kopfschüttelnd stand er sichtlich gerührt und seelig lächelnd auf der Bühne, „mit Gänsehaut“, wie er selbst sagte, dirigierte sein Publikum zu Chören, bis beim Song „Carry you“ doch tatsächlich zwischen den sonst emotional eher unterkühlten Elektronikern sogar ein paar Wunderkerzen aufleuchteten. Tränen im Publikum inklusive. Zum fulminanten Abschluss betraten die Synthie-Popper von „Hurts“ die Bühne, die mit ihrem Debüt-Album „Happiness“ im vergangenen Jahr die Charts stürmten und Preise wie Bambi und Echo einsammelten.

 

Foto: Torsten Volkmer

Foto: Torsten Volkmer

Auf der Hangar-Bühne tobte währenddessen zwei Tage lang klassischerweise alles, was sich zur Spezies des EBM, Industrial oder sonstwie geartetem Elektro zugehörig fühlt: Mit fetten Bässen und BpM-Fequenzen, bei denen Kardiologen schon mal Panik bekommen, tobten Barden wie Thomas Rainer alias Nachtmahr, Funker Vogt, Oswald Henke alias Fetisch:Mensch, Atari Teeange Riot, Tyske Ludder, Gothminster oder Patrick Wolf durch die Halle. Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel: Mit Julien-K oder The Mission Veo bewiesen die Veranstalter, dass sich jenseits des Atlantiks Einflüsse aus Rock, Indie oder New Wave hervorragend mit Elektronik verbinden. Mit My Dying Bride betraten zudem die Pioniere des Doom Metals aus England die Hangar-Bühne.

Foto: Torsten Volkmer

Foto: Torsten Volkmer

Das Festival konnte diesmal zusätzlich punkten mit Lesungen von Szene-Autoren bereits am Freitagabend, etwa von Christian von Aster, Christoph Hardebusch oder Markus Heitz, abendlichen Feuershows auf dem Mittelaltermarkt, der M’era-Luna-Fashion-Show sowie der Gothic-Fashion-Town, in der Modedesigner ihre handgemachten Kreationen zur Schau gestellt haben. Im DJ-Hangar traten am Freitag und Sonnabend Szene-Größen wie Torben Schmidt (Suicide Commando), Alexx Botox oder Ronan Harris (VNV Nation) höchst selbst an die Teller. „Der Festivalbesucher erwartet heutzutage mehr als nur ein hochkarätiges Musikprogramm. Es ist die Mischung aus Musik und Erlebnis, die Besucher heutzutage von einem Festival erwarten. Die Gothic-Szene ist sehr vielfältig, dem wollen wir mit einem der bedeutendsten Gothic-Festivals in nichts nachstehen. Wir sind uns sicher, damit auf dem richtigen Weg zu sein und freuen uns über die positiven Reaktionen und den Ansporn, uns in der Richtung weiter zu entwickeln“, so Jasper Barendregt, Festivalorganisationsleiter des Veranstalters FKP Scorpio Konzertproduktionen.

Foto: Torsten Volkmer

Foto: Torsten Volkmer

„Aus Veranstaltersicht lief in diesem Jahr alles ruhig und friedlich, alle Band waren pünktlich. Wir sind rundum zufrieden", sagt Scorpio-Sprecherin Katja Wittenstein. Und die Fans waren's auch, schließlich standen mit Bands wie ASP, Within Temptation, VNV Nation, Tanzwut, Blutengel, Qntal oder Project Pitchfork allesamt Urgesteine der Schwarzen Kernszene auf der Hauptbühne. Und auch im Hangar setzten die Veranstalter auf Bewährtes: Mit Tiamat, My Dying Bride, Gothminister, Funker Vogt oder Tyske Ludder gab's zwar ausgesprochen ehrenwerten Besuch, aber auch keine Überraschungen mit spektakulären Geheimtipps. Dafür viele Anlässe zum Tanzen und Gelegenheiten, in musikalischen Erinnerungen zu schwelgen. Denn – Naturgesetzen folgend – wird bekanntlich niemand jünger, nur besser.

Der Termin für das M'era Luna 2012 steht auch schon fest: Am 11. und 12. August findet das 13. Festival in Hildesheim-Drispenstedt statt. Für diejenigen, die es nicht erwarten können, gibt es ab sofort 666 Wild Cards zum Frühbucherpreis von 74 Euro inklusive aller Gebühren und 5 Euro Müllpfand. Sie sind unter meraluna.de, eventim.de und über die Tickethotline (0 18 05) 85 36 53 (14ct/min/Mobilfunk max. 0,42 Euro/Min.) erhältlich. (km)

Mera Luna Fotogalerie:

Links: www.meraluna.de

 

Torsten Volkmer
Torsten Volkmerhttp://www.torsten-volkmer.de
Volkmr, der Gründer des ehemaligen Goth-Zine.de, verdingt sich „selbst und ständig“ als Linsenputzer bei volkmr fotografie ihm seine Knipsklitsche, hat sich als Chefredakteur 2.0 selbst recycelt, die Metalfriese abgeschüttelt und kämpft mit be subjective! erfolgreich gegen hausgemachte Langeweile, Schubladendenken und seine Profilneurose an. Manchmal darf er auch die RedakteurInnen rumfahren oder Wassereis abstauben.

Weitere Artikel

Ähnliche Beiträge

Most Wanted: Michael Gs musikalischer Jahresrückblick [2023]

Gegen Ende eines jeden Jahres schwirrt mir der Porcupine...

Most Wanted: Michael Gs musikalischer Jahresrückblick [2022]

Sind denn wirklich 12 Monate seit dem letzten Jahresrückblick...

Preview: M’Era Luna – das Jahr des Kindgreis (2022)

2020 wurde „Cecilia Sceletus“ durch höhere Gewalt die Ehre...