„Rock´n´Roll liebe Freunde, denn das Ende ist nah!“. Der vierte und damit letzte Tag des Wave Gotik Treffens 2009 begann , wie konnte es anders sein in der Hotelkoje. Meine Zimmerfährten, die Ameisen hatte inzwischen ob der illusteren Gerüche aus verschwitzten Deo-Klamotten die Flucht ergriffen und so hatte ich wenigstens am letzten Tag das Bad für mich alleine. Das Frühstück im Salon schmeckte wieder nicht anders als gestern, was mich durchaus beunruhigte, da ich die Jagdwurst inzwischen durch eine Paprika-Mortadella ersetzt hatte. Seis drum, der Hunger trieb es rein. Und wenn man einmal am Tag die Chance auf ein „all you can eat“ bekommt, darf man sich auch anständig den Wanst voll schlagen. Irgendwann nach dem dritten Brötchen-Bausatz wurde aber auch mir schlecht und so zog ich mich mit einem Gurgeln im Bauch auf das Zimmer zurück.
Der Anfall von Magenverrenkung erwies sich zum Glück als Finte. Das wäre es ja auch gewesen. Zum ersten mal seit Jahren den Treffen-Montag noch lebendig begonnen und dann sowas? Nix da! Immerhin stand für heute noch eine ganze Reihe an Bands auf dem Programm denen ich, teils mit Vorsatz, teils aus Neugierde einen Besuch abzustatten gedachte.
Ursprünglich hätte die Reise auch heute an der Tramstation der Linie 16 beginnen sollen. Aufgrund der fortgeschrittenen Stunde und um die erste Band „Tunes of Dawn“ nicht zu verpassen entschied ich mich kurzfristig dazu doch dem Taxi den Vorzug zu geben. Die anschließende Fahrt durch die Leipziger City bestätigte mal wieder den Eindruck, dass in Leipziger Taxifahrern echte Fans des WGTs stecken. Nachdem mir am Samstag ein Kollege interessante Details über den Felsenkeller erzählte und ein anderer am Sonntag samt Marilyn Manson Bord-Beschallung von miterelebten Feindflug-Konzerten schwärmte, wusste auch dieses Exemplar nur positives über die alljährliche Grufti-Invasion zu berichten. Vor allem wirtschaftlich sei das WGT einer der wenigen ernstzunehmenden Faktoren, die nach dem Weggang der Games Convention noch verblieben wären und solange die Grufties sich in der Stadt befänden würde es auch während der 12 Stunden Schichten selten langweilig!
Im Clara-Zetkin-Park angekommen trennte mich nur noch ein kurzer Fußweg von meinem ersten Station heute, der Parkbühne. Der Schafskälte zum trotz, traute sich heute die Sonne hinter den Wolken hervor und sorgte dafür, dass sich unter den Bäumen im Park zahlreiche schwarzgewandete Gestalten lümmelten. Es schien so, als hatte ich den perfekten Tag für einen Abstecher an die Parkbühne gewählt, denn das unbeständige Wetter schien vorerst verschwunden.
Von innen bot die Parkbühne ihr gewohntes Bild, inklusive Deutschlands krassester Klocrew, die sich bei dringenden geschäftlichen Angelegenheiten mit einem „Dankeschön“ von 50 Cent entlohnen ließen.
Tunes Of Dawn
Wie gesagt eilte die Zeit mit Siebenmeilenstiefeln voran. Nach einem kurzen „Hallo“ unter Kollegen war es bereits so weit, für den ersten Act des Tages. Unweit aus der Hauptstadt gereist, versammelte sich auf der Bühne ein Weiß gekleidetes Quartett mit klangvollen dem Namen „Tunes Of Dawn“. Wer sich ein bisschen mit gotischer Namensgebung auskennt, konnte auch ohne vorherige Hörproben sehr schnell darauf kommen, welchen Sound die Berliner anzuschlagen gedachten. Im musikalischen Bermuda Dreieck aus HIM, The 69 Eyes und einem Schuss Type O Negative offerierten Tunes Of Dawn eine gefällige, solide vorgetragene Goth-Rock Variante mit, nach eigener Aussage, „Klassikern der Suizidalmusik“. Neben Sänger Hagen Schneevoigt, der mit seiner merkwürdigen Frisur den unfreiwilligen Eindruck erweckte als sei er gegen eine Wand gelaufen, stand Gitarrist Rene Gödde im Blickpunkt des Geschehens, der sich gerne mal über die Bühne bewegte und auch sonst ordentlich abrockte. Übermäßige Eigenständigkeit war von den Tunes Of Dawn indes nicht zu erwarten, was sie andererseit aber auch nicht davon abhielt hier einen souveränen Stiefel zu zocken. Prädikat: unentdeckter Geheimtip mit ausreichend Potential nach oben!
Schock
„ach die gibts auch noch!“, war mein erster Gedanke als mir im vergangenen Herbst vor dem Eisbrecher Konzert in Hamburg jemand eine 3-Track Promo des neuen Schock-Albums „Halt Still“ in die Hand drückte. Wirklich erstaunlich, dass Bandleader Michael Schock es nach all den Jahren ohne nenneswertes Erfolgserlebnis noch immer nicht aufgegeben hat, in der Szene Fuß zu fassen. Zugegeben, die Nominierung als Newcomer des Jahres 2001 weckte einst Hoffnungen und der Auftritt beim M´era Luna 2001 hatte ebenfalls seine Qualitäten aber danach konnte sich die Band nie richtig etablieren. Was wohl weniger an den Auftritten der Band als vielmehr den unterirdischen Texten lag mit denen Schock vergeblich zu provozieren versuchten.
Oft leben totgesagte manchmal länger als erwartet und wenn es eine Band gab, die heuer wie Phönix aus der Asche entstieg, dann Schock. Zu verdanken hatten sie dies einzig und allein ihrem Frontmann, der angesichts der lichten Tageszeit die Zeichen erkannte und mit vollem Körpereinsatz in die Bresche sprang. Von derlei Ansporn entflammt, ließ sich das überraschend zahlreiche Publikum nicht lange bitten und entdeckte das Feuer der Leidenschaft für sich. Auf diese Weise gab es nicht Ansatzweise eine zweite Meinung ob dieser Gig rockte oder nicht. Die übrigen Bandmitglieder zu Statisten degradiert gab Herr Schock den Turnvater Jahn und bat damit zum montäglichen Frühsport an der Parkbühne. Im gleichen Zug gelang es ihm so die nach wie vor schmerzhaften Textpeinlichkeiten á la „Wa(h)re Fleisch“ zu überspielen. Auch die sympathisch offene Art des Schockrockers vermochte zu Punkten.
Am Ende einer rasanten halben Stunde hörte man das Volk lautstark nach einer Zugabe rufen. Anders als gestern in der Agra blieb die Obrigkeit heute hart und ließ die Fans schmachtend zurück. Gezündet hatte der Schocker dennoch und dürfte mit diesem Auftritt einiges an Boden zurückerobert haben. Vielleicht klappt es ja doch noch eines Tages mit dem großen Wurf. Live jedenfalls sind Schock nicht zu unterschätzen! Voll auf Angriff und voll ins Schwarze!
Setliste: Schuld, Tanz, Nur ein Atemzug, Halt Still, Wa(h)re Fleisch, Von Dir, Lolita, Gottmensch, Wie ein Tier
Lahannya
„Soll ich Deutsch reden or should I speak English?“ begrüßte die Britische Fetisch-Sängerin Lahannya ihr dezent verwirrtes Publikum. Und im Grunde genommen war es auch egal wie viele Freunde die Dame von der Insel mitgebrachte hatte und in welcher Sprache sie das Publikum anlachte. Hauptsache die Gazelle im Latexhöschen mit den Lackstiefeln schwang ihre Kurven gewinnbringend über die Bühne. Zugegeben, eine Große Sängerin war sie nicht doch was Lahannya hier an Programm abspulte, reduzierte sich nicht nur auf optische Reize. Schuld daran war vor allem – der Umbra Lutz – Bassist und Produzent Lutz Demmler, der den Songs einen teilweise heftigen Schuss seiner Hauptband verpasst hatte und damit für ein solides Fundament gegossen hatte, auf dem Lady L. hier sattelfest umher stöckelte. Von einem musikalischen Highlight zu sprechen wäre sicher zu viel der Ehre doch anders als befürchtet lieferte Lahannya mit ihrer Band eine sympathische Show die keinem Weh tat und dabei etwas fürs Auge bot.
Die So Fluid
Das Thema Schmerzfreiheit hatte sich spätestens mit dem Auftritt von Die So Fluid erledigt. Sängerin Grog, ihres Zeichens Power-Röhre vor dem Herrn, verschreckte so manchen Zaungast zum Salto Rückwärts. Ganz zu schweigen von dem Gesicht welches Gitarrist Mr. Drew aufgelegt hatte. „Eindeutig zu viel Sonnenlicht für schattiges Songmaterial“ schien er dem Publikum sagen zu wollen und lag damit goldrichtig. Im Frühjahr noch mit Eisbrecher auf Tour funktionierte der kantige Gothic-Rock von der Insel sehr gut in den Clubs. Angeführt von der schwer in Richtung Geschoss gehenden Grog, verstanden es Die So Fluid das Publikum auf ihre Seite zu ziehen. Auf der Parkbühne nachmittags um 4 ging der Schuss leider nach hinten los. Verglichen mit den harmonischen Auftritten zuvor schossen Die So Fluid musikalisch über das Ziel hinaus und fügten sich nicht wirklich in das schlüssige Programm. Zudem verloren sich die Drei Musiker auf der Bühne und schafften es nicht diese mit Präsenz zu füllen. Da konnte sich Grog noch so leidenschaftlich ihrem Gitarristen vor die Füße werfen. Hier war heute nicht viel zu holen.
Szenenwechsel – Hare Hare
Mit diesen letzten, wenig berauschenden Bildern machte ich mich auf den Weg zur zweiten Station des Tages, dem WERK II. Bevor ich jedoch das nächste Taxi besteigen und zur Verrichtung gondeln konnte, ereignete sich ein seltsames Schauspiel, das im Rahmen des WGT umso bizarrer anmutet. Kaum aus der Eingangspforte getreten wurde es plötzlich lustig im Park. Von draus vom Walde kamen sie her, ich sage euch es schauderte mich sehr: eine Gruppe Hare-Krischna Jünger! Tanzend und singend hoppelten die drollig kostümierten gestalten samt Standarte des Weges und verzauberten ihre Umwelt mit ihrer Eigentümlichkeit. „Krischna Krischna, Hare Krischna, Hare Kirschna Hare…“ ein Bild für die Götter!
Von diesem Kulturschock musste ich mich anschließend erst einmal erholen. Und wo ginge das Besser als im Werk II mit dem Horror-Punk Abend? Im Blickpunkt standen für mich dabei die Franzosen Banane Metalik sowie die Amerikaner Shadow Reichenstein, über die die Fachwelt mitunter leidenschaftlich diskutiert. Bei meiner Ankunft an der unheiligen Halle befiel mich ein unbehagliches Gefühl. Sehr präsent waren auf einmal die Geschichten über ein völlig überranntes Werk II. Dem war heute nicht so! Locker und lässig schlüpfte ich durchs Einlassgitter und fand zwischen all den bunt toupierten Punk-Gestalten sogar noch einen gemütlichen Sitzplatz während in der Halle die Dead End Guys gerade ihren Auftritt zu Ende dengelten. Den blutbesudelten Gestalten nach zu urteilen, die anschließend aus dem Dunkel gewankt kamen, musste es bei dem Gig rustikal zur Sache gegangen sein.
Banane Metalik
Umso gespannter war ich, welche Rolle Banane Metalik spielen würden. Die Franzosen, deren Optik nicht von ungefähr an das legendäre Biker-Unfall Foto auf Rotten.com erinnert, schienen mir durchaus verrückt genug um mit ihrem Psychobilly Sound für ein kleines Highlight zu sorgen. Und in der Tat hielten die Jungs mit den Fleischgesichtern, was die Vorboten im World Wide Web versprachen. Samt GoGore Dancer „Sushi“ als „Gruftschlampe zum Rumschubsen“ zogen die Gruselgestalten eine wüste Schau ab, die vor rüden Attacken rabenscharzen Humors und sexuellen Anstößigkeiten nur so strotzte. Dazu ließ der schubkräftige Billy-Sound mit stilechtem Kontrabassgezupfe gepflegtes Pogo-Feeling aufkommen, das die Stimmung mit Macht auf die Palme trieb. Besonders beliebt: „Opus 666“ bei dem es völlig egal war ob jemand den Text verstand. Die Mischung aus Tarantino-Flair und Hackfleischdiät garantierte den Selbstläufer. Unfassbar eigentlich, dass diese Band bereits seit 1992 aktiv ist und erst jetzt beim WGT ihre Krallen ausfuhr! Grandioses Horrortainment dem es nichts hinzuzufügen galt außer vielleicht den Titel des aktuellen Albums: „Nice to meat you!“
Shadow Reichenstein
Wer sich mit dem Horrorpunk-Genre beschäftigt landet neben Bands wie den Misfits, Blitzkid, Der Fluch oder The Other mit an Tödlichkeit grenzender Wahrscheinlichkeit bei Shadow Reichenstein. Ob man in den halb deutschen Bandnamen, der entfernt an ein verfassungswidrigen Ego-Shooter aus Steinzeittagen erinnert mehr interpretieren muss, bleibt jedem selbst überlassen. Begrüßt wurden die Amerikaner jedoch bereits während des Changeovers mit lautstarken OiOiOi! rufen die jedoch eindeutig dem linken Lager zuzuordnen waren. Alles andere hätte vermutlich unliebsame Gestalten auf den Plan gerufen, die dem WGT erst 2007 zuletzt das Leben zur Hölle gemacht hatten.
Frontmann Shadow der Dritte, wie er auch immer er bürgerlich heißen mag, bewies unterdessen Humor als er die spitzbübischen „EBM EBM!“ rufe eines Fans, grinsend mit gestreckten Mittelfinger konterte. Weniger Glück hatte er dagegen mit der Technik, die unmittelbar nach Konzertbeginn verrückt spielte. Den Opener „Dracula“ noch unfallfrei über die Bühne gebracht, steckte hernach irgendwo der Wurm drin und musste nach jedem Song aufs Neue vertrieben werden.
Trotz der Probleme und einer Un-Beleuchtung die dem Namen „Shadow Reichenstein“ alle Ehre machte, zündete das Spektakel beim Publikum mit erstaunlich kurzer Lunte und bewies, dass die Amerikaner nicht allein wegen ihrer durchgestylten Uniform-Klamotte schwer angesagt sind. „Wakin´the Dead“ machte dort weiter wo Graf Dracula eben aufgehört hatte, gefolgt von „It´s Halloween“. Sir Shadow kam dem Publikum dabei auf halbem Wege entgegen und schleuderte ihm die Songs vom Podest vor der Bühne aus voll in die Fresse. Von diesem Frontalangriff überwältigt, entwickelte sich ein hübscher Pogozirkel, der den Texanern die Herrschaft über Reichenstein Castle a.k.a. Die Halle A attestierte.
Wer den Jungs nur einen Moment zusah und die Coolness erlebte mit der sie den Laden an sich rissen, erkannte, warum an Shadow Reichenstein in diesen musikalischen Breitengraden kein Weg vorbei führt. „Dracula´s Hot Rod“ hatte in jedem Falle genügend Pferde unter der Haube, um damit von hier bis Transsylvanien zu shreddern.
Setliste: Dracula. Wakin´ The Dead, It´s Halloween, Dracula Built My Hotrod, Bela Was A Junkie, Zombie Dance Trance, Black Car, Teasers, Christian Death, Be My Victim, Werewolf Order
So ein Zirkus!
Letzte Ausfahrt Thunderdome! Zum zweiten Mal an diesem Wochenende führte mich der Weg in den Kohlrabizirkus, am anderen Ende der Stadt. Die Fahrt dorthin nutzte ich zum Anlass mich über einen Umstand zu informieren, der mir schon seit meiner Ankunft am Freitag im Kopf herumschwirrte. Wie manch Einem von Euch sicher auch auffiel, hat sich das Leipziger Stadtbild im Vergleich zu den Vorjahren drastisch verändert. Egal wo man hinfuhr, war die Polizeipräsenz im gesamten Stadtgebiet enorm und nur allzu oft sah man einen grün-weißen Boliden mit Blaulicht und Martinshorn um die Ecke brettern. Entgegen meiner Befürchtung hatte die verstärkte Präsenz nicht mit dem Wave Gotik Treffen zu tun, sondern fand ihren Ursprung in dem anhaltenden Diskothekenkrieg, der nach wie vor das Leipziger Nachtleben in Atem hält. Eine verständliche Maßnahme also, insbesondere da es bereits Todeopfer zu beklagen gab. Mit dieser betrüblichen Nachricht aus der harten Realität endete die Fahrt zum Kohlrabizirkus wo die Phantasiewelt WGT zum großen Schlussakkord ansetzen würde. Nachdem das Mittelalterprogramm in der Agra Halle bestenfalls Lückenbüßerformat mit sich bracht und mit Ausnahme der Letzten Instanz kaum nennenswerte Acts am Start hatte, war mir die Entscheidung nicht schwer gefallen im Kohlrabizirkus den Industrial-Rock Altmeistern KMFDM aufzulauern. Bevor die Amerikaner mit ihem Deutschen Käpitan das Feld bestellten, standen jedoch noch zwei weitere Acts auf dem Programm, von denen es mindestens einer aufs Übelste in sich hatte.
Cat Rapes Dog
Ihr werdet es vielleicht erahnen, die Electropunker Cat rapes Dog waren es nicht! Die Schweden, die scheinbar nur noch zu besonderen Anlässen aus der Versenkung hervor kriechen, starteten gerade zu einem ihrer seltenen Höhenflüge. Ich will nicht verhehlen, dass ich Cat Rapes Dog bei ihrem letzten Gastspiel auf dem WGT (2006) nicht wirklich etwas abgewinnen konnte. Dennoch zogen mich Michael Madsen Verschnitt John Lindquister und die als niedliches Funkenmariechen umher exerzierende Annelie Bertilsson, für einen gefälligen Augenblick vor die Bühne. Dabei setzte es dann gleich einen neuen Song in dem es grob darum ging dass Gott ja eigentlich alle Christen hasst. Das blasphemische Thema mal außer Acht gelassen klang die Nummer erstaunlich angenehm und ließ die Hoffnung auf ein fundiertes Comeback der Schweden aufkeimen. Annelie zog es derweil hoch hinaus. Nachdem die kesse Blondine die Bühne zur Genüge ausgemessen hatte, erklomm sie nun den Boxenturm und machte auch dort oben eine schnittige Figur. Konterpart John entdeckte dagegen die neckischen Bassboxen im Bühnengraben und missbrauchte sie umgehend als Laufsteg, parallel zum Publikum. Alles in allem also ein ganz unterhaltsamer Auftritt von Cat Rapes Dog aber nichts besonderes.
Agonoize
Combichrist, Feindflug, Agonoize – meine Villa, mein Auto, mein Boot! Was das WGT in diesem Jahr seinen Electrojüngern auftischte, umfasste nicht weniger als die aktuelle Champions League des modernen Krawallelectros und dazu einen Fingerzeig, in welche Richtung die Szene sich in den letzten Jahren entwickelt hat. War der Metal-Samstag im Kohlrabizirkus eher sparsam besucht, platzte die Kohlrabikuppel nun aus allen Nähten. Jeder der noch halbwegs kriechen konnte, hatte sich vor diese Bühne geschleppt wo sogleich das Aggro-Tech Massaker der Berliner Schmadderfinken Agonoize vom Stapel lief. Dabei sind Agonoize der Prototyp einer Band, die sich mit Schimpfwortprosa und einer provokanten Bühnenshow bis ganz nach oben geschmaddert hat. Zugegeben, Agonoize sind nicht die erste Band denen das Kunststück gelungen ist.Nur DERART Stumpf war selten Trumpf. Was anfangs mal originell und witzig war, driftete spätestens seit dem Überraschungserfolg „Koprolalie“ in eine tumbe Dark-Scooter Kopie ab, die sich seither mit Vorliebe selbst kopiert. Und damit hier keine Missverständnisse aufkommen: ich liebe Scooter!
Was die Selbstinszenierung angeht haben sich Agonoize dabei zu wahren Experten entwickelt. Und so tigerte Frontmann Chris L. zu den wummernden Beats seiner Backgroundstatisten mit Maulkorb über Bühne. Zwar ist diese Idee spätestens seit Rammsteins Sehnsucht-Album schon ein alter Hut, doch das Publikum interessierte das wenig, welches die Antihelden freudig erregt abfeierte.
Eine knappe Stunde lang gab es nun wuchtigen Düstertechno auf die Ohren, der weniger durch seine Variationen als mit roher Gewalt die Türen aus den Angeln hob. Bei aller Simplizität funktionierte das Spiel und es dauert nicht lange, bis die ersten verschwitzten Tanzkameraden vor Erschöpfung keuchend aus der Zentrifuge geschleudert wurden. Auf der Bühne bot sich dabei das übliche Bild: Olle Chris machte die Schau während Johnson und Senger die „Legion of Doom“ gaben. (Anmerkung: Legion Of Doom war ein bekanntes Wrestling Duo der frühen 90er, die sich vor allem durch ihre Kriegsbemalung und martialische Plastikpanzer aus der Masse hervor hoben)
Dabei bekam das Volk was es verlangte: Songs über Suizid, Fatale Frauen, Dirty Talk und Glaubenskriege, Coverversionen von Kiss und den Beasty Boys und natürlich massenhaft künstliche Körperflüssigkeiten, Wahlweise mit der Druckpumpe in die Menge gesudelt oder provokant aus dem Schritt gedrückt. Prost Mahlzeit!
Nur gut dass jede Folter irgendwann ihr Ende findet und so hob sich meine zwischenzeitlich genervte Stimmung als Agonoize endlich fertig hatten. Erwartungsgemäß leerte sich der Kohlrabizirkus nun schlagartig. Die einen hatten bekommen was sie wollten und die anderen sich so sehr ausgepumpt, dass sie erstmal frische Luft schnappen mussten, um zum verbleibenden Hauptgang des Tages nicht saftlos zusammenzubrechen. Denn eines stand fest: auch das Konzert der US Industrial-Rocker KMFDM würde kein Spaziergang werden.
KMFDM
Als letzte Bastion die es zu nehmen galt, bevor sich das 18. Wave Gotik Treffen sich zu seinen Ahnen gesellte, gaben KMFDM eine gute Figur ab. Viel zu lange hatten sich Käpt´n K alias Sascha Konietzko, die bezaubernde Lucia, Drummer Andy Selway und die Gitarristen Steve White und Joolz Hodgson auf dem europäischen Kontinent rar gemacht. Nach der Rückkehr von Käpt´n K an die Hamburger Waterkant setzten KMFDM nun zum ersten mal in 4 Jahren zu einer ausgedehnten Europatournee an, die nun auch den weniger reisefreudigen Fans eine Chance gab, KMFDM endlich wieder oder gar zum ersten mal Live zu erleben. Denn die letzte vollständige Deutschlandtour datiert mittlerweile zurück auf das Jahr 1997, als man im Vorprogramm von Rammstein, damals noch in alter Besetzung mit En Esch, Günther Schulz und Tim Skold das Feld von hinten aufrollte. Einige wenige Konzerte später schreiben wir nun das Jahr 2009. Der KaLeu steht immernoch auf der Brücke und die neuen KMFDM, die aus dem zwischenzeitlichen Split hervorgingen, beweisen nun schon seit 2002, dass es auch möglich ist ohne alte Zöpfe erfolgreich zu existieren und auf gewisse Weise noch immer den Ton anzugeben, wenn es um das Prinzip der positiven Stagnation geht. Der Ansatz gleiche Qualität immer wieder zu liefern, ohne sich selbst oder ihre Fans zu ermüden haben KMFDM verinnerlicht, wie kaum eine zweite Institution im Industrial Lager. Und da mit jedem neuen Album immer wieder andere Aspekte des variantenreichen KMFDM Sounds in den Vordergrund rücken, haben sie sich bis heute davor bewahrt, dem AC/DC Phänomen anheim zu fallen. KMFDM Alben sind trotz ihrer kontinuierlichen Werte und des obligatorischen Ultra Heavy Beat eben immer wieder für eine Überraschung gut.
Nach dieser ultimativen Lobhudelei zum Status Quo im Hause „Kein Mehrheit Für Die Mitleid“ konnte es nun losgehen mit der WGT Premiere von KMFDM. Der Saal hatte sich inzwischen wieder achtbar gefüllt und die Menge war bereit für den Gongschlag zur letzten Runde! Auch im Fotograben, wurde es noch einmal kuschelig. Und es kuschelte sich noch mehr als die Band schließlich nach einem ausgedehnten Line-Check die Bretter betrat. Vor allem in Richtung der feurigen Lucia, die sofort sämtliche Blicke auf sich zog.
Mit DIY schickten KMFDM einen probaten Willkommensgruß durch die Halle, gefolgt von Bait & Switch vom aktuellen Album Blitz. Trotz anfänglicher Soundprobleme, die man nach und nach in den Griff bekam, musste man sich um die Live-Qualitäten der Truppe keine sorgen machen. Das ließen sich die ausgehungerten Fans nicht zweimal sagen und veranstalteten ihr eigenes „Tohuvabohu“. Während sich einige Publikümmer vor Schreckaus der Gefahrenzone flüchteten um das Geschehen von nun an aus sicherer Entfernung zu beobachten, tobte vor der Bühne der Mob! Voller Körpereinsatz war gefragt als KMFDM ihre Männermusik vom Stapel ließen.
Neben den offensichtlichen Kloppern aus 25 Jahren schleuderten KMFDM jedoch auch gerne mal den ein oder anderen unerwarteten Track in die Runde. Mit Son Of A Gun, vom 96er Album XTORT hätte ich persönlich ebenso wenig gerechnet, wie dem 2002 Elektroschwurbel „Attak/ Reload“, mit dem das pogende Publikum nicht wirklich etwas anzufangen wusste. Auch „Looking For Strange“ entpuppte sich als Rohrkrepierer, das sich Lucia hier mehrfach in der Tonlage vergallopierte. Ähnlich wie vorgestern Sabine Edelsbacher verpasste sie den Einstieg und fand nicht mehr zurück in den Song. Das sie es auch besser kann, hatte sie zum Glück bereits bewiesen.
Die Renner des Abends fanden sich dagegen in der Kategorie hart aber herzlich. „Hau Ruck“ haute ordentlich rein, „Saft und Kraft“ startete eine Killer-Zentrifuge, „Free Your Hate“ spornte die Menge an und als „A Drug Against War“ los zimmerte brachen alle Dämme. Und Käpt´n Kool? Der schleuderte genüsslich seine Vocals auf die Meute und genoss die Aussicht auf das feiernde Publikum, während Drummer-Tier Andy hinter ihm das letzte aus sich heraus holte. Was der Kerl in die Felle drosch hatte echt Schauwert und fügte sich in das elektrisierte Stimmungsbild im Kohlrabizirkus ein. Seit dem Ministry Auftritt 2006 hat es es auf einem Deutschen Gothic-Event nicht mehr so schön gescheppert!
Selbstverständlich hatten KMFDM noch etwas als Zugabe in Petto. Wobei sich Sascha erstmal genüsslich eine Ansteckte. WWIII gallopierte los und lieferte Andy die nächste Gelegenheit sein Drumset zu Kleinholz zu verarbeiten. Ein Texas Industrial Massaker oberster Kanone – herrlich!
Zum Abschluss eines gelungenen Auftritts gab es dann mit „Godlike“ noch einen frühen Klassiker zu Gehör, bzw. was vom Gehör noch übrig blieb, bevor KMFDM sich gemeinsam mit ihren Fans auf einem Erinnerungsfoto verewigten. Die strahlende Gesichter vor und auf der Bühne sprachen eine deutliche Sprache. KMFDM hatten Leipzig im Sturm erobert und so verabschiedete sich Sascha mit den Worten „We´ll be Back very soon!“ und einem fetten Grinsen bis über beide Ohren! „Hao!“ Der Häuptling hatte gesprochen!
Setliste: DIY, Bait And Switch, Tohuvabohu, Son Of A Gun, Hau Ruck, Looking For Strange, Potz Blitz, Attak/Reload, Saft & Kraft, Megalomaniacal, Light, Free Your Hate, A Drug Against War, WWIII, Godlike
Abgesang!
Das war es also, das Wave Gotik Treffen 2009. Mit der letzten Band im Kohlrabizirkus hatte das Live-Programm sein Pulver verschossen und wer noch leben in sich spürte, war nun auf eine der Partyveranstaltungen angewiesen, die noch zahlreich an der Agra, in der Moritzbastei, dem Darkflower und anderen Orten angeboten wurden. Gemeinsam mit dem großen Schwung beseelter KMFDM Fans verließ ich den Kohlrabizirkus in Richtung Taxistand. Wie unschwer zu erkennen musste es in der Zwischenzeit noch einmal ordentlich geregnet haben. Nach dem Dauerbeschuss in der Halle tat die Frische Abendluft gut und ich freute mich darauf zufrieden in die Hotelkoje zu fallen.
Bei keinem anderen Event fällt es mir so schwer ein Fazit zu ziehen wie beim WGT. Nicht nur weil jeder Besucher das Treffen, die Konzerte und das ganze Drumherum anderes aufnimmt, sondern weil jeder auch seine ganz persönliche Geschichte erlebt, abhängig von der eigenen Konzertauswahl, den Begegnungen die sich manchmal zufällig ergeben und vielem mehr. Daher nur ein paar Allgemeine Gedanken zum Treffen 2009, dass sich in seinen Grundfesten nur unwesentlich von den Vorjahren unterschied:
Obwohl die Programmpalette weiter an Breite hinzugewonnen hat, merkte man dem WGT in diesem Jahr den Einzug der Wirtschaftskrise deutlich an. Trotz eines reduzierten Angebotes an Topacts, wie unter anderem in dem fehlenden Mitternachtsspezial am Freitag zu erkennen, schlug die Treffen-Eintrittskarte in diesem Jahr mit satten 66 Euro bzw. happigen 80 Euro an der Abendkasse zu buche. Im gleichen Atemzug hatte sich die Quote der Lesungen, Vorträge und Rahmenerscheinungen erhöht, während der Banddurchsatz pro Bühne stellenweise reduziert wurde. Gestört hat es nur Wenige. Schon am Freitag herrschte gewohnt hoher Betrieb an der Agra, wo das sehen und gesehen werden dem veranschlagten Programm ohnehin für gewöhnlich die Schau stiehlt.
Positiv zu erwähnen bleibt die Erschließung des Felsenkellers. Hier hat sich das WGT eine wunderbare Location einverleibt, die sich mittelfristig nicht vor dem WERK II verstecken muss. Im Gegenteil. Durch die Balustraden und das einladende Raumdesign hat man hier auch aus der Entfernung einen tollen Blick auf die Bühne. Natürlich ist der Felsenkeller von der Agra aus etwas umständlicher zu erreichen, doch der Weg dorthin lohnt sich allemal!
Ansonsten blieb beim 18. WGT eigentlich alles beim Alten. Wer Eigeninitiative bewies, sich rechtzeitig über die auftretenden Künstler informierte und sich dabei ein wenig selbst organisierte, konnte hier eine Menge Spass haben. Treffen Maskottchen Noctulus veredelte das WGT wie gewohnt mit seiner Anwesenheit und auch die knallharte Toilettenmafia an der Parkbühne war mit von der Partie.
Bedingt durch die unterschiedlichen Kapazitäten der Hallen kam es aber auch dieses Jahr wieder zu lästigen Einlass-Stops. Ich selbst wurde zwar kein Opfer der Warteschlange, doch gerade das Werk II, die Moritzbastei, der Cinestar und sogar der Kohlrabizirkus meldeten zwischenzeitlich „Land unter“. Goth sei dank wurde das 18. Wave Gotik Treffen von kalten Duschen weitgehend verschont. Mit Ausnahme von ein paar Schauern hielt das Wetter, wenn auch bedeckt, durch und bescherte den Treffen-Besuchern nach etlichen heißen Jahren einen durchaus erträglichen Mix aus moderaten Temperaturen und zeitweiligem Sonnenschein.
Insofern die anhaltenden Gerüchte um den bevorstehenden Abriss des Agra Komplexes sich nicht eines Tages als wahr heraus stellen, wird es sicher auch 2010 wieder ein Wave Gotik Treffen in Leipzig geben. Und selbst wenn die Pläne, das Gelände in einen Wohnkomplex zu verwandeln, eines Tages Realität werden sollten, verfügt die Stadt Leipzig sicherlich über genügend örtlichen Gegebenheiten, um der Schwarzen Szene weiter eine Heimstatt zu bieten. Denn eines wurde an diesem Wochenende mal wieder deutlich: die Leipziger lieben ihre „Schwarzkittel“ und sind für sie an Pfingsten nicht mehr wegzudenken! In diesem Sinne: auf ein Neues im Mai 2010!
WGT Fotos aus den vergangenen Jahren: