Tief im November, in dem die Nebelschleier über die Felder gleiten, der Himmel in einem durchgängigen grau erscheint, der Sturm über die Ostsee peitscht und die gefallenen Blätter über die Straßen tanzen lässt, lädt das Metal Hammer Paradise zu dem letzten Festival im hohen Norden ein.
Von der Sonne geküsst
Wer nicht schon am Donnerstag zur Warm-up-Party erschienen ist, erfreut sich nun, am Freitag, bei strahlendem Sonnenschein den Weg durch das „schönste Bundesland“ (Zitat eines regionalen Radiosenders) zu bahnen. Am Zielort angekommen erwartet einen ein warmer, herzlicher Empfang beim Check In. Mit allen nötigen Informationen an der Rezeption gibt es die Schlüssel, Wegbeschreibung zum Apartment, Lageplan der verschiedenen Anlaufpunkte und noch einiges mehr.
Aber, wie jedes Jahr ist es mit dem Parken so ein Problem. Der Weissenhäuser Strand ist einfach nicht auf solche Massen an Fahrzeugen ausgelegt. So wurde fröhlich wildwest geparkt. Welches teilweise ein Durchkommen sehr schwierig macht. Also vorfahren, ausladen und außerhalb einen Parkplatz suchen. Hier hat das Ferienresort aber auch schon mitgedacht und Wiesen vor den Toren zum Parken freigegeben. Freundliche Einweiser helfen hier gerne bei der Suche.
Corona vorbei?
Wie schon bei den Sommerfestivals gibt es, bei dem Streifzug über den Campus, keinerlei Pandemiemaßnahmen mehr. Keine Testbarrikaden um aufs Gelände zu kommen, keine halbierten Einlassbedingungen. Das Zählen der Personen am Eingang zu den Bühnen dient nur um Überfüllungen zu vermeiden. Denn gerade das Riff oder der Ballroom sind halt nicht ganz so groß.
Was auffällt ist, dass das Drumherum sehr abgespeckt wirkt. Ist im letzten Jahr alles aufgrund der Situation auseinandergezogen und in verschiedene Bereiche verteilt worden, sind dieses Jahr der Merch und weitere Stände wieder in der Galeria komprimiert. Am Marktplatz draußen befinden sich nur noch die Glühweinbude, der Hutmacher, der Whiskystand (selbst hier fehlte die singende Schankwirtin!) und etwas abseits Schmuck und Tücher. Und hier bleibt auch die Mittelalterbühne dieses Jahr leer. Stattdessen stehen Tische und Stühle drauf. Es wirkt irgendwie wie ein Rückschritt. Hatten wir nicht schon ein Falkner, fahrende Spielleute, mehr Stände und und und? Wie dem auch sei, es geht ja eigentlich um die Bands und die Musik.
Führungswechsel
Wie die Jahre vorher wird das Festival im Ballroom eröffnet. Doch den Startschuss gibt dieses Jahr nicht Torsten „Zacke“ Zahn, sondern sein Nachfolger Sebastian Kessler. Nach der kleinen Ansprache stehen nun Temperance auf der Bühne. Der Ballroom war immer schon ein Garant für einen guten Sound, da es sich ja um ein akustisch ausgependelten Konferenzraum handelt. Aber irgendwie wirkt es matschig und die Stimmen, gerade die von Alessia, gehen unter. Schade, denn es hätte für den Einstieg sehr episch werden können. Zeitversetzt sind die 90er Jahre am Start. Clawfinger geben sich die Ehre und rocken das Zelt in altbewehrter Crossovermentalität. Hier ist der Sound erstaunlicherweise recht gut, welches in den vorangegangen Jahren nicht ganz so gelungen war. So kommt der zeitlose Metal Rap bei dem gut gefüllten Zelt gut an.
Von nun an steht die Entscheidung schwer, denn jetzt kommt auch die Riff Alm ins Spiel Cobra Spell oder Crowbar? Da müssen die Musikgeschmäcker entscheiden. Aber das wird zukünftig immer so sein. Zumindest liefern Crowbar ein volles Brett und hier wird der Ballroom im nullkommanichts abgerissen. Auch der Sound ist nun ausgewogener und der musikalischen Richtung angepasst.
Von der einen Abrissbirne zur nächsten. Im Zelt machen sich Sodom bereit den Weissenhäuser Strand niederzubrennen. In dichtem Nebel gehüllt thrashen sie was das Zeug hält und bringen ihre 80er Hits, wie Agent Orange oder Napalm in the morning. Da fragt man sich was für ein Nebel das nun wirklich ist…
Wer das überlebt hat kann, im nächsten Step, überlegen ob Sacred Reich oder Undertow. Oder einfach mal was essen. Denn davon gibt es genügend Auswahl. Angefangen von der Bratwurst am Stand vor dem Zelt, über ein Burger im American Diner, oder Pizza und Pasta in der Trattoria Osteria bis hin zum Steak im Dschungelrestaurant. Die Auswahl ist groß. Andererseits gibt es auch Gäste die die Pantryküche, in ihrem Apartment, nutzen um selbst zu kochen. Wie z.B. die Grünkohlsaison einzuleiten. Die Temperaturen draußen sind ja entsprechend.
Wärmer wird es vor der Bühne im Zelt. Die brasilianischen Thrash Metal Legenden Sepultura gastieren das zweite Mal auf diesem Festival und ballern gleich los. Ohne Rücksicht auf Verluste. Dem nach ist das Zelt schon richtig voll von Leuten, die dieses brasilianisches Fest mitfeiern wollen. Auch wenn diesmal der Gesang von Derrick Green untergeht, scheint es das Publikum nicht zu stören.
Letzter Act des Abends im Ballroom ist Tiamat. Inzwischen scheinen sie den Sound hier hinbekommen zu haben. Schon der erste Song Whatever that hurts ist perfekt ausgesteuert. Doch was ist das? Beim zweiten Song und erfolglosen Versuchen nach seinem Bier zu greifen, verlässt er die Bühne. Wie es weiter geht, wissen nur die zu sagen die dortgeblieben sind. Gerüchten nach zu Folge haben sie dennoch das Konzert zu Ende bringen können. Nun kommt das eigentliche Highlight des Abends. Eisbrecher stehen auf der Bühne im Zelt.
Keine Begrüßung und Tamtam, es geht gleich richtig los. Man merkt, dass die Band um Alexx richtig Bock hat zu spielen. Gerade weil wieder diverse Konzerte abgesagt worden sind. Aus welchen Gründen auch immer. Zumindest darf der kleine Eisbär nicht fehlen. Brachialer Sound und ganz passables Licht machen es zu einem Konzerterlebnis par exellence. So neigt sich der erste Tag zur Neige. Wer aber dann noch in Feierlaune ist, kann noch ins Motörhütt zur Aftershowparty vom Ballroom Hamburg.
Überschattet wird die Nacht jedoch durch einen Notarzteinsatz, Polizei und dem super eingreifen der Security. So sind nach einer Schlägerei ein paar Leute, die anscheinend ihren Alkoholkonsum nicht im Griff haben, ihre Bänder losgeworden und des Geländes verwiesen worden.
Frühstück ist auch Heavy Metal
Am Samstagmorgen zeigt sich der November von seiner eigentlichen Seite. Der Himmel ist grau, die Kälte kriecht einem in die Knochen und die Feuchtigkeit tut ihr übriges dazu. Zeit Brötchen zu holen. Der hiesige Bäcker in dem EDIKA Markt hat sich gut vorbereitet. Es liegen massenhaft Tüten mit Vorbestellungen und auch spontan gibt es noch alles, was sich ein Brötchenherz sich wünscht. Mit Kaffee und einem guten Frühstück gestärkt kann der zweite Festivaltag beginnen. Aber da war ja noch was. Denn die Buchungen für das nächste Jahr laufen jetzt an. Da es Online erst ab Montag, den 21.11.2022 freigeschaltet wird, halt alle Man zur Anmeldung. Und alle Man ist jetzt nicht sprichwörtlich zu sehen. Die Menschenschlange erstreckt sich von der Anmeldung über das Dschungelland fast bis hin zum Eingang der Galeria. Hammer! Somit wird wieder einmal dieses Festival in kürzester Zeit ausgebucht sein. Der frühe Vogel und so.
Die Zeit bis zu den ersten Bands sich zu vertreiben ist hier gar nicht so schwer. Es gibt genügend Möglichkeiten. Für Binnenländer ist natürlich ein Strandspaziergang ein Highlight. Vielleicht sieht man ja noch ein paar hartgesottene, die in die Ostsee springen. Aber auch das Spaßbad kann besucht werden. Es ist ja im Preis mit inbegriffen. Oder man sitzt in Grandmas Coffee & Candy und tauscht sich mit anderen über den vergangenen Tag aus. Oder über das was noch kommen mag. Für die Spielbegeisterten gibt es die Freizeithalle in der Galeria mit Flipper, Airhockey, Billard, Kegel- und Bowlingbahn und sogar einer VR-Area. Oder es wird im Apartment gechillt bei dem Haus-TV Sender und jeder Menge Metal.
Der heutige Opener ist Dragony ohne ihrem gewohnten Bühnenoutfit. Dafür aber wieder die Soundprobleme wie am Vortag. Aber zu Gods of war scheint alles wieder ok zu sein. Die Österreicher schaffen es tatsächlich in den Mittagsstunden das Publikum in Wallung zu bringen und es zum Mitsingen bei Made of Metal bringt. Was für ein Start in den Tag. In Überlappung spielen Crematory im Zelt. Erstaunlich sehr offen zu der Fangemeinde und viel Interaktion. Sie liefern ein überzeugendes Set ab und das Zelt ist musikalisch schon warm geworden.
Dann geht es weiter mit The Unity. Die Band von den Gamma Ray Mitgliedern Henjo Richter und Michael Ehrè spielen auch schon zum zweiten Mal hier. Der sympatische Sänger Gianba ist nicht nur für die weibliche Bevölkerung ein Augenschmaus, er versprüht seinen Esprit über die ganze Fangemeinde und hüllt sie ein. Inzwischen hat sich der Sound im Ballroom stabilisiert und die Band ballert mit gewallter Kraft ihre Songs raus. So kann es weiter gehen.
Der Herr Weiß und seine Thrombosestrümpfe
Im Zelt geht es mit Axxis weiter und es wird erstmal ohne Umschweife abgerockt. Im Anschluss daran erzählt Bernhard Weiß von dem älter werden und das Tragen von Thrombosestrümpfen. Wer ihn kennt, weiß genau, dass er auf Konzerten viel erzählt. So wird es nicht richtig zur Kenntnis genommen. Auch nicht als Weiß bestätigt, dass er krankheitsbedingt diese Dinger tragen muss. Dennoch rockt er die Bühne in gewohnter Manier bei einem glasklaren Sound und mitsingenden Fans. Gerade bei den alten Liedern Living in a world oder Kingdom oft he night.
Während Night Demon noch den Ballroom zerlegen, stehen inzwischen Primal Fear auf der Bühne. Nach dem krankheitsbedingten Ausfall im letzten Jahr sind sie in diesem zumindest da. Wenn auch nur mit spärlicher Besetzung. Es fehlt zum einen Mat Sinner, der schon seit längerem erkrankt ist und ebenfalls ist Magnus Karlsson nicht mit dabei. Gefühlt wird die Klangqualität von Konzert zu Konzert besser. So kann die Fangemeinde die alten Klassiker richtig genießen. Erst spät greift Ralf nach dem aktuellem Werk mit Hear me calling zu und bring weitere etwas aktuellere Kracher.
Inzwischen ist auch die Riff Alm aus dem Schlaf erwacht und die recht jungen Thrashmetaller von Knife rocken gleich als erstes die Alm in Grund und Boden. Das gewummer ist über das Gelände gut zu hören. Gefolgt mit einer Prise Punkrock von Bonsai Kitten. Es geht also Schlag auf Schlag. Keine Chance zur Ruhe zu kommen. Denn parallel stehen The Night Flight Orchestra im Ballroom mit ihren Stewardessen auf der Bühne bevor Bonded mit ihrem Thrash gänzlich niederreißen.
Ein bisschen Spaß muss sein
Ganz anders geht es derweil auf der Hauptbühne zu. Mit einem fetten Konfettiregen begrüßen J.B.O. die Menge. Klassisch in Pink gekleidet und immer den Schalk im Nacken bespaßen sie nun auch schon zum wiederholten Mal den Weissenhäuser Strand an der Ostsee. Kleine Showeinlagen dürfen bei ihren eigenwilligen, vermetalten und mit neuen Texten besetzten Coversongs nicht fehlen. Somit darf, bei immer noch gutem Sound, getanzt, mitgesungen und gelacht werden. Diese Jungs sind immer erfrischend anders.
Doch nun Spaß bei Seite. Anfänglich war nicht klar, ob Doro überhaupt dieses Jahr auftritt. Denn sie lag mit einer Kehlkopfentzündung flach und musste diverse Konzerte absagen. Somit ist es eine große Freude sie doch begrüßen zu dürfen. Grandios und klar überzeugend startet sie mit I rule the ruins. Ein klares Statement, denn wenn sie auftreten will, dann tritt sie auf! Professionell wie immer, mit einer Freude an der Musik, Interaktion mit den Fans und gewohnter Stimme. Diese Frau ist nicht unterzukriegen und nicht ohne Grund die Queen of Metal! Hut ab. Lediglich ein recht langes Schlagzeugsolo könnte eingebaut sein, damit sie kurzzeitig ihre Stimme schonen kann. Wie auch immer, ein großartiges Set mit exzellenten Musikern und einer Sängerin, die immer noch All for metal gibt.
Abschluss
Der letzte Gig des Abends. Etwas müde und alkoholisiert blinzelt das Publikum auf die Bühne. Die Spielleute von In Extremo geben sich alle Mühe das Publikum mitzureißen, aber ohne die alten Songs fruchtet es nicht so richtig. Auch Vollmond und Liam (zumindest mal in Gälisch) helfen da nicht richtig bei. Einige die ein bisschen wuchtig das Tanzbein schwingen werden von der Security unterbunden. So kann ja keine Feierstimmung aufkommen. Aber bei Sternhagelvoll wird kräftig mitgesungen. Woran das wohl liegt. Zumindest spielen sie zum Ende hin den Spielmannsfluch. Immerhin etwas. Aber es fehlen die Klassiker wie Ai vis lo loop und Herr Mannelig.
Nichtsdestotrotz geht somit mal wieder ein schönes Festival zu Ende. Einige Feierwütige verteilen sich noch auf die Afterschowparty oder eine der Bars um den Abend ausklingen zu lassen.
Der Sonntagmorgen überrascht mit Schneefall und klirrender Kälte. Aus dem warmen Bettchen raus mit dumpfen Schädel dürfte für einige Personen schon eine schwierige Angelegenheit sein. Durch das Feuchtkalte Wetter stampfen, um das Auto freizumachen ist schon einen Herausforderung in diesem Zustand. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Fahrer sich mit dem Alkohol am Samstag zurückgehalten haben, denn einige Nummernschilder kommen doch von weiter her.
Ernüchterung
Dennoch war es wieder ein schönes Festival und wir dürfen uns nächstes Jahr wieder freuen. Wenn es heißt:
Metal Hammer Paradise
Text: Andrea Neumeier
Galerien (by Olaf Räwel bs! 2022):
Metal Hammer Paradise (2022)
Links:
Metal Hammer Paradise – Metal Hammer Paradise (metal-hammer-paradise.de)
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