Runter von der Autobahn. Ein Plattenweg führt irgendwo ins Nichts zwischen Oldenburg und Bremen. Nach Kirchkimmen bei Hude, um genau zu sein. Dort findet am Samstag, den 29.07.2017, zum sechsten Mal das Garden of Voices Open Air statt. Nach Plakaten, Wegweisern oder Rauchzeichen sucht mensch auf den einsamen Landwegen vergeblich, aber es gibt zum Glück gerade genug Netz für Maps. Bezeichnend, denn auch das Open Air selbst scheint für die meisten Menschen in der Region kein Begriff zu sein. Kurz vor der völligen Orientierungslosigkeit dann das Aufatmen: geschafft, angekommen. Stünkels Gartenparadies. Ein Schild…aber keine Menschen. Zu früh.
13:00 Uhr. Einlass. Die Gäste betreten einen, durch Bauzäune provisorisch verkleinerten, wirklich wunderschönen Garten.
Zwischen Bühne, Beeten, Büschen, Blumen und Bäumen
gibt es kalte Getränke, Kaffee und Popcorn, Sitzkreise aus Kola Kisten und genügend kleine Verstecke, um sich mal ein Päuschen von dem miesen Juliregen zu gönnen. Beneidenswert sind diese erwachsenen Menschen, die es immer irgendwie schaffen, eine Regenjacke aus dem Nichts zu zaubern.
Laut Spielplan soll Alexander von Rothkirch um 13:30 Uhr mit seinem Set beginnen, was jedoch eine ganze Weile nicht geschieht. Die eher rar gesäten Gäste sammeln sich unter Schirmen, Zelten und Bäumen und warten. Als der Liedermacher eine lange Weile später, bei noch immer unangenehmen Regen, die Bühne betritt, bleibt es vor dieser erstmal leer.
Zu nass. Rothkirch singt mit seiner angenehm tiefen Stimme in Bluesmanier von „Rain & Sunny Weather“. Rothkirchs „bisschen traurige Lieder“ gefallen wahrscheinlich jedem – dies jedoch auch zu zeigen fällt dem Norddeutschen schwer – – so kommen die Gäste der Bitte um Mitsingen nur schleppend nach. Das üben wir im Laufe des Tages noch. Rothkirch dimmt den Schwierigkeitsgrad, und siehe an, das Mitklatschen klappt selbst unter den verstecktesten Regenschirmen super.
Umbaupäuschen. Konservenmusik. Gute Auswahl, toller Klang. Eine kurze Weile später entert Tilman Benning, alias tigeryouth, die mit Abstand niedlichste Festivalbühne Norddeutschlands und zeigt dem Publikum, was so ein Punker, nach der ersten Bitte um „nur ein Bier“, so alles mit einer Akustikknarre….ähh….-Gitarre und ner Menge cleverer Texte alles anstellen kann. Den Regen vertreiben zum Beispiel – klappt ganz wunderbar.
Die Sonne kommt raus, die Batterien in der Gitarre fallen aus. Kein Thema. Tigeryouth siedelt auf den gut gepflegten Rasen um und schafft es mit Songs wie „Herz Schultern“ die ersten Hintern von den Kola Kästen zu lösen. Intim. Schön und viel zu schnell wieder vorbei.
Laut mittlerweile ziemlich verschobenem Zeitplan sollen nun die Freiburger von Redensart an der Reihe sein, stattdessen beginnt jedoch der Matze Rossi früher als geplant sein Set. Souverän wie eh und je spielt Rossi seine wunderschönen Lieder zwischen Rosen, Schmetterlingen und Hummeln. Da bekommt die Frage
„Und wem ist das hier jetzt zu hippie-esk?“
aus „Wir wollen doch gut aussehen“ nochmal eine ganz andere Bedeutung. Unterbrochen werden die Stücke von kurzen Anekdoten und etwas Werbung („Saufen für Wasser“) für Viva Con Agua, welche ebenfalls mit einem kleinen Stand zwischen hohen Hecken versteckt sind. Auch bei Matze Rossi dauert es eine Weile, bis die Mitsing-Oh Oh Oh’s der, noch immer nicht so wirklich vielen, Gäste irgendwie funktionieren. Mit dem letzten Song „Best Friends“ kriegt Matze Rossi sie jedoch alle rum.
All for one and one for all.
Eine weitere Umbaupause, dieses Mal lang und ausgewachsen. Die Konservenmusik beginnt sich zu wiederholen, bis endlich die vier Musiker von Redensart die musikalische Leitung übernehmen. „Du fragst mich nach dem Stand der Dinge, obwohl schon längst niemand keiner mehr steht“, heißt es. Ein paar mehr stehende Menschen vor der Bühne wären tatsächlich ganz schön, denn auf dieser spielen gute Typen familienfreundliche deutschsprachige Indiepopsongs, welche sich perfekt in die friedliche Atmosphäre des kleinen Gartens einfügen. Die Idylle wird nur von dem Ploppen frischer Pils Flaschen unterbrochen. Am Ende ihres Auftritts bedankt sich die Band bei dem „angenehmen Publikum“, ist jetzt zugegeben nicht der größte Ritterschlag, aber mehr hat die noch immer ziemlich träge Menschenmenge auch NOCH nicht verdient.
Mit den Poppunkern Call It Off aus den Niederlanden kommt endlich etwas Leben in den Garten. Vor der Bühne tanzen vereinzelte Menschlein im mittlerweile zurückgekehrten Regen zu Klängen irgendwo zwischen Donots und Green Day. Die Musiker versuchen das Publikum immer wieder mit kleinen Ansagen auf Deutsch und Englisch mit ihrer guten Laune anzustecken und das klappt teilweise so gut, dass auch Call it Off sich trauen, „Oh oh Oh“-Mitsingchöre zu beschwören, klappt allerdings wieder nur mäßig. „I promise the weather will be better…when we stop playing!“ und so war es dann auch.
Der Regen verschwindet, die nächste, lange Umbaupause beginnt. Vor der Bühne werden die Schmetterlinge zu Mücken, auf der Bühne tauscht ein Macbook mit Gitarren den Platz…die Wunder der Natur. Genrewechsel.
„Badabing“
statt „Oh Oh Ohs“. Eljot Quent kommen aus Hamburg und machen Hip Hop. Das muss wohl die Geheimwaffe sein, denn Menschen tanzen und feiern vor der Bühne wie ausgewechselt. So viel Begeisterung für Deutschrap überrascht bei diesem eher alternativ-rockigen Line-Up. Aber es funktioniert.
Nachdem die Musiker die Bühne verlassen folgt die gefühlt längste Umbaupause des Tages. Aus der Konserve dröhnt zum sechsten Mal „Mr. Brightside“. Bei einem Open Air dieser Größe lassen sich lange Umbaupausen auf gar keinen Fall vermeiden, allerdings ist es schade, dass diese nicht dazu genutzt wurden, das Publikum in Stimmung zu bringen und mit tanzbarer, abwechslungsreicher Musik bei Laune zu halten
Es wird dunkel. Auf der Bühne wird Platz geschaffen für die überdimensional große Hamburger Kapelle Le Fly. Partiegarantie seit 2005. Von den großen Festivalbühnen ging es direkt ins beschauliche Kirchkimmen, wo man sich als Musiker noch fragen muss, wo man auf die Schnelle Ohrstöpsel für die arme Schnecke auf dem Monitor besorgen kann. In Kirchkimmen handelt es sich bei Schnecken, im Gegensatz zu den Schnecken auf St. Pauli, um tatsächliche Weichtiere. Niedlich, finden alle. Und dann geht es los. St. Pauli Tanzmusik. Der Garten ist brechend voll. Wall Of Death schon beim zweiten Song. Le Fly liefern ab. Ordentlich. Das Publikum liefert ab. Ordentlich. Warum nicht gleich so?
Fazit:
Das Garden of Voices Festival ist, trotz der ein oder anderen Wartezeit,eine tolle Veranstaltung in einer außergewöhnlichen Location mit außergewöhnlichen Künstlern. Zwischen all dem Grün wird eine intime Atmosphäre geschaffen, von welcher die großen Festivals nur träumen können. Eine kleine, versteckte Perle im Oldenburger Raum. Gern mehr davon.
Galerien (by Thea Drexhage bs! 2017):
- Alexander von Rothkirch [21]
- Atmo [24]
- Call It Off [27]
- Eljot Quent [28]
- Le Fly [29]
- Matze Rossi [28]
- Redensart [28]
- tigeryouth [24]
Links:
www.facebook.com/govopenair