Review: Dunkle Wolken überm Elbriot (17.08.2019, Hamburg)

Öffnen sich da etwa dunkle Wolken über dem kleinen Eintagesfestival? Nicht, dass die Veranstaltung dieses Jahr das letzte Mal auf dem Großmarkt in Hamburg stattfinden wird, welcher im Zusammenhang mit dem Umbau des Mehr! Theaters zu tun hat, dass nun ganzjährig einen kleinen Zauberlehrling als Musical beherbergen wird. Nein, vor dem Event sagt auch noch die Band Avatar ab, da das Fahrzeug mit dem kompletten Equipment auf dem Weg zum Veranstaltungsort verunfallt ist. Der Veranstalter hat so schnell keinen passenden Ersatz gefunden, daher wird dieser Gig ersatzlos gestrichen und das Festival fängt etwas später an. Für einige Bahnreisende ganz gut, da die Züge aus dem Osten und Norden aufgrund von irgendetwas umgeleitet werden und ca. 20 Minuten später im Hauptbahnhof eintrudeln.

Im Gegensatz zum letzten Jahr hat sich eine sehr lange Schlange vor dem Einlass gebildet, welche den verschärften Taschenkontrollen geschuldet ist. Trotzdem geht es recht zügig voran. Wie vom letzten Jahr gewohnt, geht es um das Mehr! Theater herum zur hinteren Seite. Hier bilden sich schon Menschentrauben um den Merch und die Getränkestände.

Kein Bier vor vier

Aber 4:00 Uhr nachts war doch schon. So heißt es zumindest in Hamburg. Zudem ist es ein Festival. So ist es um 11:00 Uhr sogar schon sehr spät dafür. Also ran an die Tassen. Dazu noch die nötigen Essensstände, so kann eigentlich nichts mehr schieflaufen. Also warten auf die erste Band.

Aus a wird v

Shvpes (Foto: Olaf Räwel bs! 2019)

Pünktlich wie die Maurer entert die Band Shvpes die Bühne. Doch wie spricht man das aus? Es heißt eigentlich Shapes. Nur dachte sich die Band das „a“ mit einem „v“ zu tauschen, damit man im Internet und den sozialen Netzwerken besser gefunden wird. Also ein sehr moderner Gedanke, der sich auch in der Musik wiederspiegelt. Hier haben wir eine Weiterentwicklung aus Hardcore oder dem Crossover der 90er Jahre. Gespickt mit Hip-Hop und Reggae Einflüssen und dann doch auch Metalcore. Und so geht es auch gleich los. Mit dem Song Undertones vom neuen Album brüllt Griffin Dickinson in die Menge. Hier merkt man auch wirklich, dass es eine eigenständige Band ist und Papa Dickinson da keine Geige spielt. Im Gegensatz zum letzten Jahr ist es auch schon richtig voll und die Menge geht vom ersten Takt her mit. Leider ist das Set viel zu kurz und endet mit Afterlife, auch von dem neuen Werk.

Jinjer (Foto: Olaf Räwel bs! 2019)

Stimmgewaltig geht es auch gleich weiter unter dem wolkenverhangenem hamburger Himmel. Scheinbar sind Jinjer gerne hier. So ist es in diesem Jahr schon der zweite Auftritt und im November kommen sie erneut, aber mit eigener Headliner-Tour. Wenn Tatiana ihren Mund aufmacht, muss sich jeder festhalten. Sie prügelt ihre Growls so dermaßen übers Gelände, dass die Elbe auf der hinteren Seite in Richtung Harburg über die Ufer tritt. Sie beweist aber auch heute viel mehr ihre wahren Gesangsqualitäten.

Gab es Anfang des Jahres fast ausschließlich nur Fratzengeballer, packt sie heute mehr Songs mit klarem, gefühlvollem Gesang aus. Eine einfach perfekte Mischung. Fertig!

Zeal & Ardor (Foto: Olaf Räwel bs! 2019)

Nominiert durch diverse Musikmagazine ist Zeal & Ardor wohl die außergewöhnlichste Band an diesem Tag. Black Metal und Gospel, was das wohl wird. Es beginnt wirklich mit einem Gospel-Dreierlei bis die Gitarren einsetzen, dann wird der Growlgesang rausgeholt und gemosht was das Zeug hält. Die Zwischenparts sind dann wieder ruhiger. Interessante Geschichte.So bleiben zumindest die eingängigen Gospelmelodien eine Weile im Kopf. Nur kann in den vorderen Reihen keiner was von den Sängern sehen. Denn im Gegensatz zu ihren Vorgängern bewegen sie sich nicht von ihren Mikroständern weg. Grund dafür ist eine gefühlte drei Meter hohe Bühne mit einem zusätzlichem Gitteraufsatz, hinter dem die Sänger stehen. Wie wird sowas von Menschen mit Beeinträchtigungen wahrgenommen?

Inklusion?

In der heutigen Zeit rühmen sich auch die Festivals, sich mit dem Thema Inklusion zu beschäftigen. Aber ist es auch wirklich so? In den FAQ wird Menschen mit einem Schwerbehindertenausweiß kostenlos die Begleitperson bewilligt. Das ist schonmal löblich. Auch sind auf dem Geländeplan anscheinend zwei Plätze eingezeichnet für Personen mit Mobilitätseinschränkungen. Ein links neben der Bühne und einer im Hintergrund neben dem VIP-Bereich. Nur da, wo der orange Fleck neben der Bühne verzeichnet ist, ist nichts. Ok, aber die Bühne für unsere Freunde im Rollstuhl ist da. Nur stellt sich die Frage, warum sie wesentlich niedriger ist, als die VIP-Bühne daneben? Sind diejenigen mit dem goldenen Bändchen mehr wert? Das Gelände selbst ist komplett asphaltiert und hat keine großen Steigungen. Das spielt natürlich in die Karten. Aber warum diese hohe Bühne? Das Gelände ist nicht so tief und man braucht keine zusätzlichen Monitore. Die Antwort weiß wohl allein der Wind.

Dragonforce (Foto: Olaf Räwel bs! 2019)

Nun zeigt die Bühne bzw. der Gitteraufbau, was er bisher verborgen hat. Beidseitig entstehen riesige Telespielautomaten, wie man sie aus den 80er Jahren kennt, auf denen die beiden Gitarristen von Dragonforce jeweils Platz nehmen und ihre Klänge in die Luft preschen. Und es sind die Klassiker, welche die Fans zum abfeiern bringen. Wie Thorough the Fires and Flame oder Season oder Cry Thounder. Gitarrist Herman Li ist wieder voll in seinem Element und arbeitet mit seiner Gitarre gegen die Gesetze der Physik an. Immer wieder schön zu sehen. Zudem scheint er sie so zu lieben, dass er sie andauernd ableckt. Aber auch hier haben wir einen Wermutstropfen. Es war der letzte Gig mit Frédéric Leclercq. Für ihn ist die Dragonforce Ära nun zu ende und wird nach offizieller Ansage von Marc Hudson seinen geschriebenen Guitar Hero Song nie wieder spielen. Aber Dragonforce ziehen alle Register. Von Konfetti-Kanonen über Pyrotechnik bis hin zu diesen komischen langen Papierstreifen wurde alles in die Luft geballert. So hatte es eigentlich schon Headlinerqualitäten.

Of Mice & Men (Foto: Olaf Räwel bs! 2019)

Das bisschen Regen lassen wir mal außen vor. Stört einen Norddeutschen nicht wirklich. Denn jetzt stehen Of Mice And Men auf der Bühne. Da Fans um den Roman der 30er Jahre wissen, muss das Thema nicht weiter behandelt werden und wo die Texte herkommen. Auch hier haben wir einen sehr voluminös geladenen Metalcore-Auftritt und die Jungs ballern in den Nachmittag. Nur leider spielt der Wind nicht richtig mit, so dass in den hinteren Bereichen die Stimme sehr dünn oder gar nicht richtig ankommt. Aber da können die Tontechniker auch nichts machen. Ist halt Open Air direkt am Wasser. Aber ihre Energie und Spielfreude spiegelt sich in dem Publikum wider. Massen an Crowdsurfern und diversen Moshpits zeigen es. Diese 10 Jahre Bandgeschichte haben es halt in sich und kommen ohne jeglichen Schnökes aus.

Atmo vom Elbriot 2019 (Foto: Olaf Räwel bs! 2019)

Irgendwann bekommt man Hunger. Aber was ist das? Die Auslagen des Fischstandes sind leer, Fleischspieße gibt es auch nicht mehr und auch die anderen Stände sind geräubert. Hallo, es ist ein Festival und kein Wochenmarkt. So war wohl der Einkauf der Stände falsch gesteuert. Letztendlich gab es nur noch eine Wurst im Brötchen, die auch nicht mehr wirklich schmeckte. So muss also der Hunger mit Musik aufgefüllt werden.

25 Jahre Bandgeschichte

Hatebreed (Foto: Olaf Räwel bs! 2019)

Mit Hatebreed kehrt der Hardcore wieder ein. Nachdem Jasta im letzten Jahr Solo mit Friends hier war, drängte die Band darauf in diesem Jahr auch ihr Jubiläum wieder dabei sein zu dürfen. So ist es nun. Eine hüpfende Menge und Crowdsurfer von allen Seiten. Es ist ein Fest! Nebenbei mal ein ganz großes Lob an die Security die diesen Tag bisher toll gemeistert, und versucht haben auf einzelne Bedürfnisse einzugehen. Nun müssen sie sich ein bisschen mehr konzentrieren und auch das wird gemeistert. Denn hier herrscht Ausnahmezustand.

Becher fliegen und mit Destroy Everything und Last Breath geht es in Richtung I´ll Be Heard. Die fetten Riffs klingen noch lange in dem Wolkenverhangenem Abendhimmel. Wenn da nicht noch mal was kommt.

Erstmal kommt der Wechsel

Vor der Bühne wird es leerer. Aber nur um sich neu zu füllen. Es ist schon erstaunlich wie die Fans sich die Klinke in die Hand geben, um ihren Genres zu frönen. Das gibt es nur im Metal. So wie sie auch aussehen, sind sie doch die friedlichste Gemeinschaft in dem gesamten Musikbusiness.

Airbourne (Foto: Olaf Räwel bs! 2019)

Woher kommen Hardrockbands? Ist doch klar, aus Australien. Da gibt es keine Fragen. Wir sind jetzt bei Airbourne gelandet. Und was das bedeutet steht auf keinem Blatt geschrieben. Dass Joel O´Keeffe nicht stillstehen kann, ist wohl alles klar. Wie bei Dragonforce ziehen auch Airbourne alle Register, nur auf ihre Weise. Mit Boneshaker und Girls In Black ist auch ein Zenit erreicht, in dem das Publikum mit Joel zusammen durchdreht. Zum Abschluss wird mit Running Wild noch einmal richtig aufgedreht und dann ist nach neun Songs auch Schluss.

Episch

Es wird langsam dunkel in der altehrwürdigen Hansestadt, auf der Bühne schimmert bläuliches Licht und In Flames beginnen ihren Auftritt mit dem ersten Song ihres neuen Albums. Voices dröhnt durch die Boxen in den Hamburger Abendhimmel. Es folgen durchaus auch ältere Songs, die das experimentelle Wirken der Band, im Laufe der Jahre wiederspiegeln. Zusammengefasst in einem Set mit den neuen Songs, ein schönes Komplettpaket. Bei dem Song Here Until Forever öffnen die Wolken ihre Pforten und es gießt aus Eimern. Die einen flüchten unter die Bier- oder Essensstände und die anderen harren beharrlich vor der Bühne aus. Wer hier wohl die Norddeutschen sind? Mit The End endet auch der gelungene Auftritt und wer noch nicht genug hat, findet sich im Headcrash zur Aftershow-Party ein. Zumindest um trocken zu werden, denn spätestens beim verlassen des Geländes erreicht der regen auch diejenigen, die bisher Schutz gesucht hatten. Nass bis auf die Knochen, aber glücklich nach dem Event bevölkern die Metalheads wieder die Straßen Hamburgs um von A nach B (oder V) zu kommen.

Galerien (by Olaf Räwel bs! 2019):

Danksagung:
Auch hier nochmal ein fettes Danke (wie man in Hamburg sagt) an Björn, der wieder den Anstoß für den Part Inklusion gegeben hat. See You soon! Schaut doch mal rein bei ihm www.hobbyquerschnitt.de.

Links:
http://www.elbriot.de/

Olaf Räwel
Olaf Räwelhttps://www.be-subjective.de/
Olaf ist ein mediterran Scharfmacher sondergleichen. Seine Texte sind gewürzt mit den Tränen derer, die auf seiner heimischen, eigenhändig veredelten Chili-Plantage, den Mund zu voll genommen haben. Wenn er sich nicht gerade Live- oder Gaumenerlebnisse scharfzüngig zergehen lässt, jongliert Olaf mit sündhaft teuren Designmöbeln, erfindet die daoistische Harmonielehre neu und verbindet seine ästhetischen Leidenschaften mit Spaß. Olaf, so vermuten wir, ist eigentlich ein Akronym für Ordinary Lover of Art and Flavouring. Genug Rumgeräwelt. Das Spicegirl is(s)t scharf.

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