Review: Autumn Moon – Let ’s have a black celebration (14. – 15.10.2016, Hameln)

Es sind die Nächte, die den Blutmond begrüßen. Nächte, schlaflos und magisch. Der Mond, er wirft sein Licht auf die Kreaturen der Nacht, die sich anlässlich des zweiten Autumn Moon Festivals von Freitag, den 14ten bis zum Blutmoond 2016 in der Rattenfängerstadt Hameln einfinden.

Impressionen vom Autum Moon Festival (Foto: Isabelle Hannemann bs!)
Impressionen vom Autumn Moon Festival (Foto: Isabelle Hannemann bs!)

gefährlich romantisch

Das Autumn Moon, es darf sich wohl als eines der in diesem Segment – mit Abstand – zauberhaftesten Festivals des Jahres rühmen. Es traut sich musikalisch, was anderen Festivals gut täte, denn es baut nicht auf Headliner, sondern stellt mit End of Green, Legend, Lacrimas Profundere, Zombie Boy und Co. eine schwarzbunte Mischung von Ink-Entertainern bis hin zu Workshops, von Alternative-Bands bis hin zu Elektro-Trash-Atari-Sinfonien, von Gothic Rock Metal Ikonen bis hin zu SingerSongWriterInnen auf, die Hameln zu einer unbedingten Empfehlung machen. Kleine Perlen und Szenegrößen, Rampensäue und Schattenwesen in einem liebevoll gestalteten Ambiente, das nicht vor Werbetafeln überquillt. Das Blutmondfestival hat es geschafft, einen weißen Wald auf ein Spielfeld zu pflanzen.

schlaflos und magisch

Impressionen vom Autum Moon Festival (Foto: Isabelle Hannemann bs!)
Impressionen vom Autumn Moon Festival (Foto: Isabelle Hannemann bs!)

In der Mitte der Rattenfängerhalle liegt ein gestrandetes Schiff, das Met und Gerstensaft geladen, ein bisschen Flair vom Mittelaltermarkt am Ufer der Weser in den Bühnengraben spült. In der Sumpfblume pflücken sich die Kreaturen der Nacht die Petersilie aus dem Allerlei, lauschen Wellen und Worten, welche auf Schiff-Stage und Co. geboten werden, schicken die Sinne in Workshops auf Reisen oder lustwandeln durch die Rattenfängerstadt.

Es ist beachtlich wie viel Liebe zum Detail, die das Autumn Moon vom Kerzenschein bis zur Paletten-Chillout-Zone erkennen lässt. Das Seufzende Genießen ist versucht, das Festival der Mondsüchtigen zu verschweigen, damit es nicht – wie so viele Festivals – vom Kommerz der Massen überrant, in die Fänge der Ratten gerät.

Freitag, 14.10.2016

Xandria (Foto: Torsten Volkmer bs!)
Xandria (Foto: Torsten Volkmer bs!)

Noch bevor der Mond zwischen den weißen Baumskeletten aufgeht, eröffnen Xandria mit lodernden Schwingen den Nachmittag, Vogelfrey reißen die „Hörner hoch“ während Christian von Asters „Love Manager“ auf dem Love-Boat der Weser in den Nachmittag plätschert.

Eisfabrik (Foto: Torsten Volkmer bs!)
Eisfabrik (Foto: Torsten Volkmer bs!)

Ja, mensch kommt nicht umhin zu bemerken, dass das Autumn Moon gefährlich romantisch ist. Es zwingt zum Lustwandeln durch Kerzenlicht und Kürbisgesichter, es faltet mit Tüsn „Schwarze Gedanken“ auf und lässt es im weißen Wald schneien! Eisfabrik, wer sonst, lassen die süßen Tränen der Grauzone gefrieren. Es schneit und wir tanzen wie die falschen Flocken dem Blutmond entgegen.

Apropos Blut. Ost+Front, das Gruselkabinett vom Brandenburger Tor, lädt zum ultra blutigen Gangbang à la Neue Deutschte Härte.

Warte warte nur ein Weilchen, …

dann kommt Haarmann mit dem Hackebeilchen.

Ost+Front (Foto: Isabelle Hannemann bs!)
Ost+Front (Foto: Isabelle Hannemann bs!)

Variationen von Gekanntem, ein ästhetisches Gemetzel stanzt dem Publikum die Ohrmuscheln aus. Und das allein – will mensch unbedingt meckern – könnten wir hier bekritteln: Die Ohren bluten. Es ist so laut, dass Mensch sich hier wirklich nahe kommen muss, wenn Menschin versucht, seinem Nebenmenschchen das Ohr abzukauen. Und so knabbern wir mit ausgefransten Hörknorpeln an Bayreuths Nippeln. Das Ich – freudianisch, dreckig, schön – sind die Reinkarnation ihrer selbst. Expressionistisch, nihilistisch und ein Arschtritt ins postfaktische Antlitz des Pegida-Packs, zapfen Das Ich den Blutquell der Wahrheit an:

„Minderheiten wie wir werden die ersten sein, die verschwinden.“

Das Ich (Foto: Torsten Volkmer bs!)
Das Ich (Foto: Torsten Volkmer bs!)

„Die schwarze Szene ist überall, grenzenlos und friedlich. Lasst uns gegen das Pegida-Pack zusammenstehen.“ Jubel – auch darüber, dass Das Ich ein neues Album planen und drohen auch noch „zahnlos und im Rollstuhl“ Musik zu machen.

»Gott ist tot.« Das Ich lebt.

Moonspell (Foto: Isabelle Hannemann bs!)
Moonspell (Foto: Isabelle Hannemann bs!)

Endlich Pausenmusik – Type O Negative – und wir schmachten. Kein Autumn Moon ohne den Zauber aus Lissabon. Moonspell beten keinen Gott an neben der Musik und malen sich das Morgen dunkelromantisch aus. Melodisch schwer.

»Moon in Mercury
Red in the waters
Moon in Mercury
Black in the mirrors«

Spieglein, Spieglein in der Hand, …

Samstag, 15.10.2016

Hick Hack Hackebeil, Heimatærde eröffnen das Programm der Rattenfängerhalle mit mächtigem Medieval Electro. Lebendige Zinnsolldaten marschieren aus, Templer, die – laut wie die Hölle – blutig Schilde, Schwerter und ihre Weisen vortragen. »Die Liebe die dich kalt zerfetzt. Woher kommt Kraft, dass jedes Schwert an uns zerbricht.« Auch aus Aerdenbrand, das kürzlich erschien, spielt die blutige Spielzeug-Band »Hoch hinaus« und – Kindermund tut Wahrheit kund – bedient mit Songs wie Hick Hack Hackebeil Fans, die das Klatschen à la Mono Inc. Goth-Schlager lieben. Liefern was für ’s Auge und ein bisschen Gruselatmosphäre.

Heimataerde (Foto: Torsten Volkmer bs!)
Heimataerde (Foto: Torsten Volkmer bs!)

Hick Hack Hackebeil, ich will dich tot sehn’…

Crematory (Foto: Torsten Volkmer bs!)
Crematory (Foto: Torsten Volkmer bs!)

Crematory Tanzt mit mir. Unglaublich. Crematory verzichten auf jedweden Tand. Sechs Leute, Stimme. Ein schwarzes Gothic Metal Fest in einem Set. Crematory. Spielt mit mir. Instrumente, kein spezielles Gewand. Einfach nur Crematory. Ein Schweben in Düsternis. Crematory. Quälet mich. Ein Wort- und Soundgewebe, das irgendwie den Moment berührt. Crematory, eine Band, die sich im wesentlichen treu geblieben ist und in der Tatsache, dass »so viele schwarz gekleidete Menschen anwesend sind«, zum Anlass nimmt, einen ganz besonderen Song zu spielen.

»Let’s have a black celebration
Black celebration
Tonight« 

Impressionen vom Autum Moon Festival (Foto: Isabelle Hannemann bs!)
Impressionen vom Autumn Moon Festival (Foto: Isabelle Hannemann bs!)

Crematory sind, wenn Mensch ganz genau hinhört, unendlich romantisch. Crematory gehen nahe und werden nicht ohne eine Zugabe entlassen, die – eine auf den Gesang reduzierte Ballade, unterstreicht, dass Crematory es einfach drauf haben; Songs schreiben, die nicht der großen Pose bedürfen, um tolle Songs zu sein.

Nur dann spüre ich – diese süße Qual
Lasst uns wild und mutig sein
Braucht auch gar nicht ängstlich sein – nein

End of Green. Big Brother is humming you. Zugegeben, End of Green hätten besoffen `ne Nasenflöte spielen können und wir hätten Pippi in den Augen. Aber wenn End of Green da, wo sich sonst Hasen und Igel die Kante geben, auch noch richtig fett sind, ruhig und witzig ihr Ding durchziehen, dann tanzen wir mit der grünen Fee im Oktoberrost. Michel Huber steckt sich schon beim zweiten Song eine an und endlich wird auch der Lichttechniker wach, die Redaktion feiert den stimmegewordenen Subwoofer und tut bei »Hurter« so, als hätte sie was im Auge.

End Of Green (Foto: Torsten Volkmer bs!)
End Of Green (Foto: Torsten Volkmer bs!)

End of Green machen alles richtig.

Kein überflüssiges Wort, ein bisschen Selbstironie, ein kleines Outing als Big Brother Containerstimme, und keiner der »Bewohner« der Rattenfängerhalle wird je einen Song von End of Green rauswählen, selbst wenn er sich ein bisschen bei Billy Idol bedient.

End Of Green (Foto: Torsten Volkmer bs!)
End Of Green (Foto: Torsten Volkmer bs!)

»Last night a little dancer came dancin‘ to my door
Last night a little angel came pumpin cross my floor«

Wir zählen runter, bis das Blut in den kalten Venen grün kocht. Nicht aufhören!

»I teach you everything
I need, oh I need everything
So don’t stop killing me
Thrilling me
Just keep on planting your hate on me
I bleed«

Lacrimas Profundere. Das Schmachten hält an. Wären End of Green die emphatische Reinkarnation von Type O Negative, so wären Lacrimas Profundere mit Rob Vitacca eine Art Ville Vallo Upgrade. Grün ist die Hoffnung und die Hoffnung tränkt den Blutmond in den vergossenen schwarzen Tränen der Melancholie. »Hope is here« heißt das aktuelle Konzeptalbum welches sich hier akustisch vorstellt. Lacrimas Profundere! Da reichen auch mal zwei Stimmen und zwei Instrumente …

Lacrimas Profundere (Foto: Torsten Volkmer bs!)
Lacrimas Profundere (Foto: Torsten Volkmer bs!)

Seems you world is dying
I burn for you
I’ll burn with you
Sometime i am hiding
Your everything

L`Âme Immortelle (Foto: Isabelle Hannemann bs!)
L`Âme Immortelle (Foto: Isabelle Hannemann bs!)

L’ Âme Immortelle – reißen mit dem Arsch der Göttin Theatralik wieder ein, was die Dunkelromantiker vor ihnen aufgebaut haben. Geschmackssache, aber wenn KünstlerInnen von sich sagen »Wir sind wie die Pest, uns wird man nicht los«, haben Fräulein Spitzfindigkeit und Herr Korinthenkacker einen, der seinen Scheitel sonst mit dem Linial zieht, echt an den Eiern. Müsste es nicht richtiger heißen, »Wir, L’ Âme Immortelle , sind wie Fußspitz, denn den wird man nicht los.« An der Pest stirbt man schließlich ›nur‹ die hat auch an linierten Kadavern kein Interesse. Ganz egal, mit oder ohne Fußpilz, haben sie – so Thomas Rainer – weiter »in der Musik auf jeden Fall einen Weg gefunden, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen«.

L`Âme Immortelle (Foto: Torsten Volkmer bs!)
L`Âme Immortelle (Foto: Torsten Volkmer bs!)

Requiem

Welle:Erdball. Um einen Connaisseur zu zitieren: »Ey, sind die irre?«. C64, Atari, Trabi. Brummkreiseln. Und um das gleich fachmännisch einzuordnen. »Ja, die sind irre.« Szenegrößen. ‚N Commodore auf Speed mit lebendem Konfetti. Muss man sehen und dann rückwärts langsam abspieln.

Zombie Boy (Foto: Torsten Volkmer bs!)
Zombie Boy (Foto: Torsten Volkmer bs!)

Zombie Boy. Es ist faszinierend. Trifft man Zombie Boy – alias Rick Genest – an einem mittelalterlichen Feuer, fällt er zwischen Gauklern und Freaks, Gothics und MusikerInnen, Kürbissen und künstlichen Spinnen kaum auf. Ein scheuer Mensch mit Fotoposen, hinter denen er sein Gesicht verstecken kann. Zombie Boy sind vermutlich aus dem ›House of 1000 Corps‹ gekrochen und feiern auf dem Autumn Moon, diesem kleinen feinen Festival Premiere. Das MaleModel Schrägstrich Performancekünstler wird von Rob Zombies ehemaligem Gitarristen, Mike Riggs an der Gitarre, Ryan Stevenson an den Drums und Jay McGovern begleitet, vielleicht aber auch beschützt.

Zombie Boy (Foto: Torsten Volkmer bs!)
Zombie Boy (Foto: Torsten Volkmer bs!)

Rick Genest, Zombie Boy, die wandelnde Leiche, wirkt verloren, scheint seine mit Nieten besetze Weste, Brille und Cap ebenso zu brauchen wie seine Band, um sich hinter allem zu verstecken. Die Performance wirkt wie ein Posing für ein Filmteam, das Ablegen der Maskerade wenig gewollt. Zombie Boy hat – so könnte man sagen – alles richtig gemacht, dieses musikalische Experiment nicht auf einem Event zu beginnen, auf das die Welt schaut und ihn global als Musiker verbrennt. Zombie Boy – so könnte man auch sagen – hat alles falsch gemacht, denn all das, was seine Tattoos und Nieten mitunter bezwecken, nämlich Abschreckung, negieren Genests Körperhaltung und Augen, die sich vor Kameras und Blicken zu verstecken scheinen. Ist dieses Gebrochensein – welches durchaus durch die Ambivalenz, die bereits im Namen »Zombie Boy« steckt, der sowohl Grauen als auch Kindlichkeit kolportiert – das, was Zombie Boy transportieren will, so besteht zu fürchten, dass Presse und VoyeuristInnen dies nicht sehen und Zombie Boy medial zerreißen werden. Es wäre sicher schön, dies bei einem heißen Kakao am Lagerfeuer zu besprechen.

Ob jemand, der sein Innerstes auf seiner Haut trägt, damit man nicht sieht, was in ihm vorgeht, sich so sehr ins Licht stellen sollte, um nicht vom Schatten gefressen zu werden, mag `ne Motte nicht zu beurteilen.

Impressionen vom Autum Moon Festival (Foto: Isabelle Hannemann bs!)
Impressionen vom Autumn Moon Festival (Foto: Isabelle Hannemann bs!)

Was neben Welle:Erdball und Zombie Boy, die man eher als Show-Acts betrachten sollte, nicht unerwähnt bleiben sollte, ist, dass das Autumn Moon auch Ausnahme-Bands wie Legend eine Bühne bietet.

»Legend sind die isländische Antwort auf Depeche Mode, nur mit mehr Eiern.« Das furchlose Kondensat aus eineer hochprozentigen Alternative-Rock-Synth-Industrial »atmet den Spirit von Island und ist schon zu fame, um noch als Geheimtipp gehandelt zu erden.« (Ritti)

Wer ein Gespür für richtige Eisscholle hat, sollte sich also unbedingt mit Legends Interpretation von Sólstafirs »Fjara« `gen Norden treiben lassen.

In jedem Fall hat das Autumn Moon der Größer-höher-teurer-geiler-Branche gezeigt wie Festival auch gehen kann: Klein. Fein. Glücklich.

Impressionen vom Autumn Moon Festival (Foto: Isabelle Hannemann bs!)
Impressionen vom Autumn Moon Festival (Foto: Isabelle Hannemann bs!)

Hier geht’s zu den Gallerien:

Links:
www.autumn-moon.de
www.endofgreen.de
www.lacrimas.com
www.rickgenest.com
www.facebook.com/Legendband

Isabelle Hannemann
Isabelle Hannemannhttp://www.isabellehannemann.net
Die missratene Hypotaktikerin wird als Redakteurin Schrägstrich Fotografin bei be subjective! geduldet, hat versucht sich als freie Autorin und Herausgeberin verschiedener Artikel und Bände im Bereich der kritischen Sozialwissenschaft für Suchmaschinen selbst zu optimieren und will – wenn sie groß ist – mal sehen. Künstlerisch als Autorin und Fotografin mit diversen Bands und AutorInnen zusammenarbeitend, Texte zu Papier, Gehör und auf die Bühne bringend. Na dann Prost Mahlzeit!

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