Es gibt Festivals, bei denen fühlt es sich an, wie nach Hause kommen, wenn man nur auf den Parkplatz abbiegt. Da grüßen Gesichter, die sich einmal im Jahr aus allen Ecken der Welt versammeln. Da hat man ‚seinen‘ Zeltplatz. Da kennt man jeden Winkel des Geländes, jede Abkürzung, jeden Rückzugsort und Attraktion.
Und dann gibt es Festivals, da kommt man an und weiß direkt: Hier zieh ich ein, da will ich nie wieder weg. Das A Summers Tale Festival zählt definitiv zu Letzterem mit großem Potential zu Ersterem befördert zu werden.
Donnerstag
Lühmühlen, bei Lüneburg, bei Hamburg, halt so im Norden. Blumenwiesen zwischen den Wegen, Rückzugsorte in Hängematten zwischen Bäumen, atmosphärische Beleuchtung statt Baustrahler. Das Konzept Musik & Natur zahlt sich aus. Liebevoll ist das Gelände geschmückt (ein Herz für Wimpelketten), Hinweisschilder weisen den Weg. Neben einer Ausstellung im Festivalatelier ist das Angebot gespickt mit Wissens- und Informationsveranstaltungen, Lesungen und Poetry-Slams, Workshops und Coachings. Kunst & Kultur eben.
Irgendwie aufregend, neues Festival, unbekanntes Terrain. Orientierung muss sich verdient werden. Trotz der eben angesprochenen Holzschilder: So viele Schleichwege. Zwischen abgegrenzten Blumenwiesen vorbei an NGO’s, in der Zwergenstatt wird schon gespielt. Auf den direkten Wegen bleiben ist eh langweilig. Zwischendrin gibt’s viel zu viel zu entdecken. Da fällt es fast schon schwer die Waldbühne zu erreichen…
Direkt mal wissen, wo der Hase läuft
…dort spielt gleich Amy Montgomery. Festivaleröffnung mit einer Wucht, die gleich mal den Geschmack des Wochenendes vorgibt. Wie kann nur so viel Power aus so einer bezaubernden Person kommen? Springen über die Bühne, rennen von rechts nach links, von Gitarre zu Keyboard zu Gitarre. Der Lockenkopf kommt da fast nicht hinterher.
Wie lebt es sich eigentlich so mitten im Wald?
Kaffee mit Käuzchen erzählt davon. Die erste Besichtigung einer nahezu Ruine fernab jeglicher Zivilisation und das Versprechen „in einem halben Jahr baue ich dir hieraus ein Schloss.“. Das ein halbes Jahr mal mehr als 5 Jahre dauern würde zahlt sich offensichtlich trotzdem aus. Die Bilder und Clips sprechen für sich. Die vorgelesenen Passagen aus dem eigenen Buch malen weitere in Köpfe.
Bloß kein Tintenklecks
Moderne Kalligrafie im Festival Atelier. Nach der Grundschule das erste Mal wieder einen Füller in der Hand. Wie ging das gleich mit den regelmäßigen Schwüngen? Immer wieder durchtauschen, neue Federn, neue Farben. Jedes Mal wirkts gleich ganz anders. Und wenn man die Muster der Regelmäßigkeit begriffen hat: Spielen mit der Form.
Aus der Übung merkt man‘s nicht
Währenddessen: Helgen spielen das erste Konzert seit langem. Angeblich etwas aus der Übung, fällt aber nicht auf. Für alle, die den Bandnamen vergessen haben sollten stehts in leuchtend großen Lettern da. Für alle anderen gilt: Zuhören und Tanzen!
Wer ist nur hier, weil er keinen Bock auf Basteln und Yoga hat?
Hinnerk Köhn hat mit seinen 25 Jahren schon so einiges zu erzählen. Alkohol, Gras, gescheiterte Versuche zu Flirten. Eigentlich will man ihn einfach nur tätschelnd in den Arm nehmen. Wäre es nicht so sau komisch.
Wann sind sie denn endlich so weit?
Vorfreude gedämpft durch Technikprobleme. Geduldiges Ausharren vor der Bühne. Geschäftiges Wuseln darauf. In der Mitte ein Schlagzeug. Es gehört zu Sänger Julien Ehrlich von Whitney. Belohnt werden alle, die gewartet haben. Unendliche Sympathien für sommerliche gute-Laune-Tanzeinlagen.
Eng, enger, Matze Rossi
Grüner Salon. Ein Kuscheltierpapagei hängt im Käfig neben Zitronen, Kunstefeu umrahmt die Kulisse. Kuschelstimmung bei Matze Rossi. Egal ob rechts, links, mitte. Zwischen Deko und Kunstblumen wird gehockt, gesessen und gestanden. Das Zelt ist voll. Dafür klingt der Chor umso geiler. Die Oh’s und Ah’s und Uh’s kommen automatisch. Da braucht es keine große Animation mehr.
Ohren gespitzt, Augen zu und Feuerzeuge raus
Als Headliner des ersten Tages kommt niemand geringeres als die Band, die als beste Liveband Deutschlands gilt. No pressure aber auf den Nerven liegen hohe Erwartungen. Dementsprechend wird geliefert. Nur mit perfekter Bühnenbeleuchtung. Achtung. Kinder im Publikum. Das sehr gefügige Publikum ist begeistert bis zum Schluss. Eigentlich ist das Konzert ja jetzt vorbei. Eigentlich. Wäre nicht Kevin in der Band. Der schnappt sich kurzerhand den Bass, hockt sich vor sein Schlagzeug und spielt als gäb‘s da Geld für. Fünf Minuten Medleys diverser Baselines, eine Entschuldigung und dann ist auch wirklich Schluss mit Tag eins.
Freitag
Krieg am… ähm Kriegundfreitag
Comiclesung eines Karikaturisten. Neben der Bühne wird gezeigt, was auf der Bühne vorgelesen wird. Sichtliche Aufregung macht umso sympathischer. Bildbeschreibungen, private Anekdoten. Blau und rot. Mal so richtig mit Farben ausrasten. Die LSD-Phase also. Danach so richtig als König ausrasten. Was man auch haben will, alles andere wird für ungültig erklärt. Krieg und Freitag zum Mitnehmen.
„Bei der Musik geht’s ums Zusammensein, nicht um funktionierende Technik!“
Kelvin Jones eröffnet die Hauptbühne. Verdammt ist die riesig! Alleine mit Gitarre gibt’s das Intro, die Band folgt später. Vorband vor der Band. Der Tatort ist eine verrückte Sendung, aber anscheinend gut zum Deutsch lernen. Kommt gut an.
„Applaus halten, sonst ist das unangenehm!“
Was soll denn diese Unsicherheit bei Reis Against the Spülmachine? Vom ersten Ton an frisst der grüne Salon quasi aus der Hand. Mitsingchöre, Klatschen, Stampfen und dabei noch aufspringen ohne Umzufallen. Multitaskingpublikum.
Wenn schon meine Texte nicht perfekt sind, muss es die Technik wenigstens sein
Feinjustierungen bei Ronja von Rönne, der Sound muss halt passen. Von der Konzertbühne zur Lesungsbühne umgebaut. Wohnzimmerfeeling im grünen Salon. Mimik. Gestik. Texte. Mikrofon. Passt alles zusammen. Bei jedem Aufschauen blitzen die Augen über die Buchstaben hinweg. Verdammt sympathisch.
The same procedure as last year?
Spontanersatz Kettcar. Schneller zurück beim A Summer’s Tale als gedacht, nach der festen Buchung im letzten Jahr. „Was seid ihr denn für scheiß Hippies geworden?“ Reimer und der traditionelle Anruf seiner Mutter. So lange er nicht auf sie hört und das Konzert trotzdem spielt ist ja alles gut.
Wir haben ja so viel Zeit…
Deniz Jaspersen kann nicht oft genug betonen, wie viel Zeit es zu füllen gibt. Betont gekonnt langsam ein tiefer Schluck aus der Wasserflasche, es ist ja Zeit. Betont gekonnte Solostücke, es ist ja Zeit. Betont neu interpretierte Cover von Herrenmagazin, es ist ja Zeit. Wär’ mal jeder so entspannt.
„Das was Du wirklich willst, das musst Du alles machen“
Das rote Keyboard gehört zu Enno Bunger wie die Bäume zum Wald, in dem die Bühne steht. Weit übers Gelände reicht der Bass. Die sonst so ruhigen Töne knallen ganz schön. Das neue Album schießt ins Herz. Der Bass grummelt im Magen. Zeit für Feelings und so.
„The people who never doubt
Are the ones I’m worried about“
Maximo Park. Der heimliche Headliner von Tag zwei. Singen. Posen. Singen. Posen. Pausen im Gesang für Posen. Wechsel in Sekundenbruchteilen. Kameraklackern. Das Konzert wird zum Shooting. Das Shooting wird zum Konzert. Flugstunde.
„Oh, here they come, the beautiful ones, the beautiful ones.“
Selten sieht eine Bühne so viel Gefühl. Selten sieht eine Bühne so viel Kraft, Schmerz, Hingabe. Brett Anderson schreit alles raus, singt seine Seele blank, nackte Emotionen. Schweißgetränkt. Auf den Knien. Das Mikrofonkabel durch die Luft schleudernd. Nebelschwaden, die sich nur zögernd lichten. Suede brennt sich ein.
Samstag
„Kann man denn vom Schreiben leben?“
Tiere streicheln Menschen, Musik streichelt das vom Lachen strapazierte Zwerchfell. Text. Musik. Text. Musik. Immer im Wechsel durch die Themen. Beziehungskrisen abwenden, Probleme lösen. Wenn die Fotografin die Kamera beiseite legen muss, um lachend im Bühnengraben zu versacken, kann man auch mal aus dem Konzept kommen. Vielleicht den Kindern doch lieber Gehörschutz aufsetzen. Oder sie eben fürs Leben abhärten.
„Was haben wir heute eigentlich…? Achja, Samstag!“
Hauptbühne. Verwirrung an Tag drei. Clickclickdecker wirken von dem Platz überfordert und schaffen es doch, das ganz besondere Band zwischen Publikum und Bühne zu knüpfen. Selten lauschen vor der Hauptbühne so viele Menschen so andächtig.
Jetzt mal Klartext
Giulia Becker. Das sind doch Beiträge wie „Verdammte Schie*e“ oder „Dicke Titten – Das Gleichberechtigungsmagazin“. Giulia kann aber nicht nur Neo Magazin Royale. Klartext geht nämlich mindestens genau so gut im eigenen Buch und da Vorgelesen bekommen schöner ist als selber lesen, gibt’s den Service von ihr gleich noch dabei.
Hört nicht auf zu Tanzen!
Schwing das Tanzbein, schwing die Arme. Der Boden bebt, der Platz tanzt, Sand wirbelt, Schirme fliegen. Shantel & das Bucovina Club Orkestar wissen, wie der Hase läuft. Die ersten Töne erklingen und der Sandplatz wird zur Disko. So viel Bewegung, so viel Ausdauer.
„Ich attestierte uns blind, dass die Zeiten rosig sind“
Mit dem Paradies verbindet man im ersten Moment Perfektion, Utopie, Äpfel und eine Schlange. In diesem Fall sollten diese Vorstellungen ersetzt werden durch feinsten Feelgoodindie und Spätnachmittagsbeleuchtung. Eine goldene Zukunft strahlt Florian Sievers voraus.
„Seid ihr bereit? Dann geht’s jetzt los!“
Mine spielt original Kasettenaufnahmen von 1991. Ein glänzender Auftritt. Goldenes Keyboard, goldenes Licht, silberne Brille. Dazu immer wieder dieses Strahlende Lächeln, dass so unglaublich sympathisch macht.
Auf in die Berge
Faber bringt die Heimat gleich mit. Schneebedeckte Gipfel, das Backdrop zeigt fast die Originalgröße. Davor: Ein Mix aus den verschiedensten Instrumenten. Vereint zum einzigartigen Faber-Sound. Posaunetönend Schlagzeugen. Keyboardtaktklatschen. Gitarristentanzsingen. Kopfverdrehen.
Der Ball ist rund und das Spiel dauert 90 Minuten
Welche zwei Pressekonferenzen passen so wunderbar aufeinander? Und wie war das noch gleich mit den witzigsten Profiverletzungen außerhalb vom Spielgeschehen? 11 Freunde live geht so manchem Mysterium der Fußballgeschichte auf den Grund.
Multitaskingkraken
Träumen von fernen Welten. Ganz geerdet mitten im Universum. Xavier Rudd aus Australien singt und spielt sich in neue Sphären. Traditionelle Klänge, neue Interpretation. Ein Zeichen für Toleranz. Ein Zeichen für Werte. Ein Zeichen für Einigkeit. Und ein nahezu fliegender Ian Peres am Keyboard.
Überzeugend
Ein bisschen Rock, ein bisschen Cabaret. Glitzerfunkeln im Scheinwerferlicht. Am zweiten Tag eine Headlinerin aus Frankreich. ZAZ überzeugt mit nicht nur mit einer hervorragenden Show, Ansagen auf wundersüßem Deutsch und einem Zuckerlächeln. ZAZ überzeugt mit Herz. So darf sich die Arche als gemeinnützige Organisation vorstellen und zu Spenden aufrufen. Man sieht quasi die Herzen in Richtung Bühne fliegen.
Sonntag
„Hier im Raum ist irgendwie ein anderer Duft. Nicht so Lemongrass und Räucherstäbchen. Mehr so ne leichte Bierfahne. Find ich geil!“
Letzter Tag. Halb 11 morgens. Yoga. Ob zum Wach werden oder um noch etwas zu dösen ist hier jedem selbst überlassen. Hauptsache, die Bewegungen tun gut. Hauptsache in sich hinein spüren. Hauptsache nicht jemand anderem den Fuß ins Gesicht halten. Is nämlich voll hier.
„Eigentlich ist das Buch ja schon 5 Jahre alt…“
Auf dem Weg zur Hauptbühne mal bei der Lesung von Jens Eisel vorbei gucken. Der gebürtige Saarländer ist eigentlich ja viel mehr Hamburger. Wen er wann, wie wo getroffen hat, was er dabei getan hat und wie er eigentlich zu all den Tattoos gekommen ist, ganz schön verworren.
Weckrufauftritt
Endspurtstimmung auf der Hauptbühne. Wer bisher noch nicht wach war ist es jetzt. Garantiert. Whenyoung als Weckruf am letzten Tag. Der Platz wird gepflügt. Wirbelsturm auf der Bühne. Keine Spur von Müdigkeit.
„Wer mir Geschichten erzählen will, dem höre ich zu“
Wohin geht man, wenn es niemanden zum Reden gibt. Oder besser: Niemanden, der zuhört? Der Zuhörkiosk in Hamburg bietet Ohren. Offene Ohren. Für alles, was einfach mal von der Seele muss. Christoph Busch betreibt diesen und bringt Geschichten, Erlebnisse und Erkenntnisse ins Tales Café.
Ist noch jemand hier aus einer Zeit, in der es noch keine Platten gab?
Wann werden nochmal neue Platten veröffentlicht? Die Neue von die höchste Eisenbahn kommt jetzt nämlich. Grund genug, direkt mal neue Songs zu spielen. Und um direkt auch mal das Publikum einzubinden. Kinder der Liebe. Kinder der Angst. Beides das Selbe.
„Keine Bücher kein Ficken!“
Nagel mit Köpfen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Thorsten Nagelschmidt lädt Gäste. Heute: Gereon Klug. Der Besitzer eines Plattenladens stellt ein Manuskript vor. Und Nagel? Der lektoriert. Live und in Farbe.
Energiebündel
Seit 1988 im Geschäft und kein bisschen müde. Beschrieben als Gutelauneneuzeitbeatles spielen The Charlatans aus der UK unermüdlich. Was für ein energiegeladener Flummi Timm Burgess doch ist.
Beim Singen die Fans grüßen, lächelnd, das Mikrofon in Richtung Scheinwerfer gereckt, hüfteschwingend.
Früher war mehr Lametta
Schwarzer Backdrop mit Schriftzug. Davor: bodentiefe silberne Lamettafäden.
Davor: die Bad Leutnants.
Davor: Kate Nash.
Immer wieder ganz nah am Publikum. Minutenlang im Bühnengraben, Tanzend über das Gelände. Singend mit den Fans. Von ganz alten Sogs zu ganz Neuen. Dazwischen: Applaus für Band und Crew. Kleine Geschichten über die eigene Entwicklung. Entstehungsgeschichten. Anmerkungen. Viel zu schnell ist die Zeit um. So energiegeladen wie der Auftritt begann geht’s auch von der Bühne.
Ganz geheim
Mitten im Wald, abseits vom Trubel, keine 50 Leute. Zwischen den Bäumen einige Bänke. Jeder so ruhig wie es nur geht, bloß den Zauber nicht stören. Moritz Krämer spielt. Und wie er spielt. Um Kopf und Kragen. Stromlos. Dafür mit der Inbrunst der Leidenschaft.
„Adäquat alkoholisiert“
Adäquat alkoholisiert tanzt es sich gleich lockerer. Wobbelnde Knie, schwingende Arme, gegeneinander gedrehte Füße schweben über den Holzboden. Hoch und Tief beim Elektroswing Workshop. Das Ganze noch im Takt und auf die Musik. Alles Naturtalente auf dem A Summer’s Tale.
Würdiger Abschluss
Theatralische Posen für das ganz große Gefühl. Sonntag, britische Band Nummer 3 auf der Hauptbühne. Elbow. Gleichzeitig Tagesabschluss. Festivalabschluss. Knapp 30 Jahre Bandgeschichte. Professionalität ja, langweilige Routine nein. Der Soundtrack für ein bisschen Sentimentalität, irgendwie ging das Wochenende ja doch schnell vorbei.
Vier Tage A Summer’s Tale Festival. Vier Tage Draußen. Vier Tage Musik, Workshops, Lesungen, Wanderungen, Comedy. Vier Tage Begegnungen, Erfahrungen und Verzauberung. Vier Tage sich neu Kennenlernen, sich Öffnen und sich Weiterentwickeln.
Erst in zwei Jahren findest das A Summer’s Tale Festival das nächste Mal statt. Jetzt schon ein fester Termin im Kalender.
Galerien (by Daphne Dlugai bs! 2019):
Die Links:
http://www.asummerstale.de/
Veranstalter:
https://www.fkpscorpio.com