Industrial
Universal Music
17.05.2019
www.rammstein.de
Tracklist:
- Deutschland
- Radio
- Zeig Dich
- Ausländer
- Sex
- Puppe
- Was Ich Liebe
- Diamat
- Weit Weg
- Tattoo
- Hallomann
Rammstein sind ein wahres Phänomen. Ganze zehn Jahre mussten wir auf ein neues Studioalbum der Berliner warten und in den letzten Tagen und Wochen gab es kein anderes Thema mehr. Jeder noch so kleine Informationsfetzen, jeder Song-Teaser wurde zu einer kleinen Sensationsnachricht gepusht und somit führte kein Weg an ihnen vorbei. Dem Erfolg tat es keinem Abbruch: Eine ausverkaufte Station-Tournee, Platz 1 der deutschen Album Charts mit den meistverkaufsten Einheiten (260000 Stück) in der ersten Release-Woche in diesem Jahrtausend (!!!) und als Bonus sind alle (!!!) elf Tracks von „Rammstein“ in den deutschen Single-Charts vertreten. Lovers gonna love, Haters gonna hate…
Doch so groß die Vorfreude auf das Album auch war, schürte es bei vielen große Erwartungen. Es war erstaunlich zu lesen, wie die „Fachpresse“ über das Album urteilten. „Seriöse“ „Nicht-Musik-Magazine“ zerrissen es teilweise in der Luft, attestieren fehlende lyrische Schockmomente, interpretierten Konzeptalbum-Thematik, bemängelten fehlende Härte und stuften die Band als Altersmilde ein. Aber selbst bei den Fans fielen die Meinungen gemischt aus. Entweder teilte man die gleiche Meinung der „Großen Medien“ oder man sah es ganz anders und hob es in den „Bestes Album Ever“-Status. Klar, jeder hat seine Meinung und natürlich auch ich. Ihr könnt mir glauben, es ist nicht einfach über DAS Album zu schreiben, dass das Meisterwarteste des Jahres (wenn nicht sogar des Jahrzehnts) ist, das gefühlt der neue „Heilige Grahl“ sein könnte, dass den weiteren Werdegang und einen immensen Einfluss auf die kommende Musikgeschichte haben wird.
Doch lassen wir mal die Butter bei den Fischen und auch wenn ich anfangs, nach der Videoveröffentlichung des „Deutschland“-Video, die Hoffnung hatte, sie würden wieder die pure rohe Energie des Debüts „Herzeleid“ (meinem Fave der Band) einfangen und mit einem Überalbum aufschlagen, musste ich, was die Erwartungen und Hoffnungen an die gesamte neue Platte angeht, schnell klarmachen, dass ich alles um mich herum ausblenden muss und mich nur auf die Musik selbst zu konzentrieren. Denn zum einen kann man schon mal nicht enttäuscht werden, zum anderen zählt für mich nach dieser langen Abstinenz nur das erzielte Resultat. Das soll nicht heißen, dass ich froh bin, dass „Rammstein“ endlich erschienen ist, egal ob es gut oder schlecht geworden ist. Stellt euch nur mal die Frage: Ist ein Top-Stürmer, der bei einem der größten Fußball-Klubs der Welt spielt, der aber mehr Torvorlagen gegeben hat, als das er selbst Tore erzielt hat, aber somit ein Spiel nach dem anderen und somit Titel und Meisterschaften gewonnen hat, dennoch ein schlechter Stürmer? Ergebnis-Fußball hin, Schönspielerei her; Nein, er ist dennoch ein Top-Stürmer, denn unter dem Strich ist ein großartiges Ergebnis dabei herausgekommen.
Ich denke genau das wird für viele der Grund gewesen sein, dass es (teils unverständlicherweise) negative Meinungen gegeben hat. Über 20 Mal lief „Rammstein“ schon in meinem Player und ich muss sagen, dass ich beim Hören ohne den äußeren Einfluss, vorurteilfrei in die Musik eintauchen und sich richtig entfalten konnte. Kopf aus, Herz und Seele an und dann erwartet einem der Opener „Deutschland“, der allein mit seinem brachialen Arrangement für die lange Wartezeit entschuldigt. „Radio“ ist nicht nur eine Hommage an Kraftwerk, sondern auch ein richtig feiner Ohrwurm, der mit seiner poppigen Art, ähm, Radiotauglich ist. „Zeig Dich“ brilliert mit kirchlichem Intro, aber auch mit Kritik an der katholischen Institution, ehe mit „Ausländer“ ein Megahit in Italo-Gigolo-Tanz-Manier folgt. „Sex“ ist mehr als nur auf den ersten Blick „plumpe“ Lobpreisung des Geschlechtsaktes, dafür bekommt man bei „Puppe“ einen Till Lindemann, der im Refrain eine tolle Performance hinlegt wie er verstörend der Puppe den Kopf abreißt (Soll das anschließende „Dam Dam…“ in dem Text eine bewusste Referenz an einen Schlagerklassiker sein…?). „Was Ich Liebe“, dessen Beginn mich stark an Nine Inch Nails erinnert, ist eine schöne Darstellung an Gegensätzlichkeiten, „Diamant“ eine Ballade des Albums (Herrlich: „Du bist schön wie ein Diamant/Schön anzusehen wie ein Diamant/Doch bitte lass mich gehen/Welche Kraft, Was für ein Schein/Wunderschön wie ein Diamant/Doch nur ein Stein). „Weit Weg“ lässt das spielerische Können von Keyboarder Christian „Flake“ Lorenz aufblitzen, „Tattoo“ ist dann nochmal ein schöner Stampfer, bevor das Finale „Hallomann“ zwar aus musikalischer Sicht das Album unschuldig ausklingen lässt, aber textlich das genaue Gegenteil dessen ist (Hallo Falco, hallo „Jeanny“).
Ich habe bei jedem Hören von „Rammstein“ nie das Bedürfnis, irgendeinen Song weiter zu skippen, was aber bei den letzten beiden Alben „Liebe Ist Für Alle Da“ und „Rosenrot“ der Fall ist. Allein das zeigt mir, dass die musikalische Qualität wieder enorm hoch ist. Was die lyrische Seite angeht, könnte ich selbstverständlich jeden einzelnen Song auseinanderpflücken und detailliert erklären wie ich ihn deute. Doch dann würde ich es nicht besser machen, als die bisherigen „seriösen“ Berichterstatter. Allein „Zeig Dich“ nur auf eine Textzeile zu reduzieren und dann zu behaupten das Thema sei nicht mehr zeitgemäß, zeigt schon wie „Skandal-Geil“ diese Medien sind. Nein, danke, ich interpretiere jeden einzelnen Song in seiner Gesamtheit und das faszinierende an Rammstein-Texten ist, dass sie oft so gehalten sind, dass man die verschiedensten Sichtweisen darin interpretieren kann. Das gleiche wird bestimmt auch mit dem Cover sein: Ein simples Streichholz, dass entweder simpel und ohne direkte Message ist oder doch bedeutungsschwangerer ist, als es zu sein vermag. Mir ist es auf den ersten Blick auch etwas zu „langweilig“ und vielleicht auch „einfallslos“, aber das kann auch daran liegen, dass es sich mir (noch) nicht erschlossen hat.
Apropos Interpretation: Beim Hören der Scheibe, kam mir immer wieder mal der Gedanke in den Sinn, dass das Album den musikalischen Werdegang der Band widerspiegelt, denn es fühlt sich wie eine Art „Best-Of“ an, ohne eines zu sein, kommen dabei aber im gesamten reifer und durchdachter rüber. Das mag viele stören, vor allem weil die offensichtlichen „Tabubrüche“ fehlen. Mich persönlich stört das nicht mal, weil ich das nicht speziell erwarte, aber wenn es was zu beanstanden gibt, dann nur, dass ab „Sex“ das Album mehr und mehr in eine musikalisch ruhigere Richtung marschiert und kaum (bis auf „Tattoo“) das volle Brett gefahren wird. Fehlender Härtegrad = Altersmilde? Nein, das ist Bullshit, das ist nur jammern auf hohem Niveau und man bedauert nur, dass der Top-Stürmer wieder mehr Torvorlagen geliefert hat, anstatt selbst die Tore zu machen. Also ist es nur ein weiteres Album? „Ja – Nein – RAMMSTEIN!“