Instrumental / Kammermusik / Ambient / Psychedelic
Art As Catharsis
19.01.2016
www.hinterlandt.org
Tracklist:
- Umgangswelt
- Patches and Paths
- Alltagswelt
Am Anfang stand der Krach.
Auch wenn es hier nicht um die Vergangenheit des Musikers Jochen Gutsch geht, der hauptsächlich hinter Hinterlandt steht, komme ich einfach nicht drumherum, ein paar Sachen zu seiner Person zu erwähnen.
Jochen Gutsch hat in Hannover gewohnt, hatte dort einige Bands, die qualitativ immer ganz oben waren und ist dann vor vielen Jahren nach Australien ausgewandert.
Im Jahr 2009 gab es dann im vollen Café Glocksee Hannover, den einmaligen J-Day. Ein Abend, an dem Jochen Gutsch mit einer Handvoll Bands der vergangen Tage auftrat – die komplette Liste aller Bands/Aufnahmen findet man auf der Hinterlandt Homepage unter „Recordings“. Um zwei meiner persönlichen Highlights des abends zu nennen - Buckethead und Snobclub waren auch darunter. Musikalisch meist krachig, vertrackt, mit einer Prise Pop, in den Dosierungen je nach Band variabel.
Am Anfang stand der Krach.
In dieser Hinsicht war Hinterlandt (die natürlich an besagtem Abend auch auftraten) schon zur Gründungszeit im Jahr 2000 musikalisch zuerst etwas unerwartet, wenn auch nachvollziehbar in der musikalischen Entwicklung.
Hinterlandt war schön, strahlte Ruhe aus und war ein Soloprojekt das ab und an auf Platte oder auf der Bühne um weitere Musiker erweitert wurde. Für großen Krach war aber kein Platz mehr. Anspruchsvolle Melodien und kantiges gab es noch immer, aber eher so, dass man sich an den Kanten nicht mehr ernsthaft verletzen konnte. Ich habe mich nicht mit allem anfreunden können was ich bisher von Hinterlandt gehört habe.
Nun scheint es eine Wandlung geben zu haben, eine Weiterentwicklung, Fortführung, oder um etwas mehr Dramatik ins Spiel zu bringen:
Die Metamorphose ist perfekt.
Hier hört man klassische Musik, Kammermusik, erkennt Elemente früherer Tage und plötzlich wird der Weg von Hinterlandt, bzw. dem Musiker Jochen Gutsch, vom Punk/Noise, bis hin zur Kammermusik klar und man merkt, dass diese Welten manchmal gar nicht so weit voneinander entfernt sind.
„Ensemble“ beginnt passender Weise auch wie das Ende einer vollzogenen Metamorphose. Etwas Neues erwacht zum Leben. Im Film würde man solche Szenen mit einem Weichzeichner als Traumsequenzen kenntlichmachen. Ich habe kursiv gewählt, um meine Fantasiesequenzen deutlich zu machen.
Ein Kokon, der im Sonnenlicht aufbricht. Fühler werden durch die rissige Schale gesteckt und erforschen die Umgebung.
Der Film nimmt Fahrt auf.
Kurz nach Beginn des Albums kommt die Gitarre hinzu, und man erkennt an der Art, den Tonfolgen doch noch etwas rotziges, noisiges auf der Akustikgitarre, was ich sehr sympathisch finde. Erst kommen die Streicher hinzu, dann die Bläser. Alles auf echten Instrumenten eingespielt. Es gibt keine programmierten Instrumente mehr, wie es in Zeiten als Hinterlandt noch ein Soloprojekt war, teilweise der Fall war.
„Ensemble“ wurde Live eingespielt, an nur einem Tag, mit ein paar Stereomikrofonen, ohne anschließendes Mixen. Hinterland ist jetzt ein Ensemble – Kammermusikformat mit vier Musikern.
Hinterland ist jetzt instrumental.
Ich finde das richtig gut. Damit könnte man wunderbar den nächsten Koyaanisqatsi-Nachfolger vertonen. Da läuft bei mir sofort Kopfkino vom Feinsten.
Allein das erste Stück – wie man in diesem Genre wohl korrekter Weise sagt – nimmt einen von der bereits oben erwähnten vollzogenen Metamorphose, ich nenne sie mal „Schmetterlingsgeburt“, mit auf eine Reise durch wunderschöne Obstgärten bis zum Einbruch der Nacht, in der sich der kleine Schmetterling dann doch vor einigem fürchtet, später den Orient und Afrika erkundet und schließlich in Japan ankommt, dort Freunde und seine große Liebe findet, die ihrerseits französische Wurzeln hat.
Die beiden verbringen den Rest ihres Lebens mit Höhen und Tiefen, aber glücklich miteinander und setzen sich im Alter in die Karibik ab. Dort genießen sie ihre Zeit mit Rotwein und Tanz, bis dann eines Tages ganz plötzlich das unausweichliche kommt.
Einer von beiden stirbt.
Und dann, irgendwo auf der anderen Seite des Planeten strecken sich Fühler durch feine Risse der Sonne entgegen.
Hammer! Der Kreislauf des Lebens in nur 24 Minuten. Oder etwas ganz anderes, denn ich muss noch mal ganz deutlich sagen, dass wahrscheinlich nur mir das gerade beim Hören durch den Kopf geisterte. Jeder, der sich darauf einlässt, kann ganz bestimmt seine eigene Reise unternehmen, oder einfach nur in der Musik versinken.
".. und manchmal gefährlich"
Auch wenn es mir schwer fällt, ich werde auf die anderen Titel nicht näher eingehen, allein, damit man sich unvoreingenommen in der Musik fallenlassen kann. Nur noch soviel: auch der Krach hat seinen kleinen, feinen Platz auf „Ensemble“ gefunden. Zwischen Harmonie und Unbehagen findet fast jeder Gemütszustand statt. Die Musik ist mal freundlich, dann wieder schwer einzuschätzen und manchmal gefährlich.
Das Album ist toll, ich bin begeistert. Große Kunst, große Musik. Mit Abstand das Beste, was ich je von Hinterlandt gehört habe, und obwohl es nur drei Titel sind, kommt das Album auf über 60 zeitlose Minuten Spielzeit.