Alternative/Indie
Begafon/ Pop Up Records
1994
www.bernd-begemann.de
Tracklist:
- Sie blieb niemals stehen
- Gefangen in einem Samstagnachmittag
- Bist du dabei?
- Hübscher als sonst
- Schluss mit dem Quatsch (jetzt wird Geld verdient)
- Sein Mädchen macht ihn glücklich
- Solange die Rasenmäher singen
- Onkel Ludwig überlebt
- In einerdeutschen Straße
- Viel zu glücklich (um es lange zu bleiben)
- Die Verlassenen
- Froh, dass der Traum vorbei ist
- Wenn du mich dann liebst
- Bereit für dich
- Wir werden tanzen
Über Bernd Begemann ist letzten Endes schon alles gesagt worden, was gesagt werden kann. Allem voran, dass er lange nicht so bekannt ist, wie er es verdient hätte. (Auch so ein Kommentar, der einem nach dem Xten Male sicherlich tierisch auf den Sack geht.) Aufgewachsen als Adoptivsohn eines Tierarztes in der nordrheinwestfälischen Provinz, zog es ihn später nach Hamburg, wo er maßgeblich die Hamburger Schule prägte, ohne aber Teil von ihr zu sein. Erste Erfolge verbuchte er Ende der 80'er mit seiner Band Die Antwort, mit der heute noch tourt und Alben veröffentlicht, und sein bis dato bekanntester Song ist wohl ein Duett mit Olli Schulz. Um es deshalb ein wenig persönlicher anzugehen:
Ich liebe Bernd Begemann.
Und ich habe keinen Schimmer, wie man ihn Uneingeweihten schmackhaft machen könnte, indem man bloß seine Musik beschreibt. Trotzdem ein kläglicher Versuch, wie man ihn in unzähligen anderen Artikeln und Reviews lesen kann: Alternative-Schlager? Deutschsprachige Singer Songwriter-Musik? Anspruchsvoller Deutschpop? Irgendwie so. Und dann doch nicht.
Vor allem ist sein Sound nicht ansatzweise so schrecklich wie diese Begriffe vermuten lassen. Versprochen!
Um Bernd Begemann zu begreifen, muss man ihn wahrscheinlich mit seinem Soloprogramm erlebt haben: nur er und seine Halbakustik-Gitarre, ab und an begleitet von einem Drumcomputer samt holpriger Raps. Außerdem gewinnen die zwischen Komik und Tragik changierenden Texte, mal flappsig, mal bösartig, mal poetisch, auf der Bühne eine Dimension, die bei den Studioaufnahmen eher zu erahnen ist. Die oftmals brüllkomischen Publikumsinteraktionen und Begemanns liebenswert arrogante Stokeligkeit sorgen für perfektes Live-Entertainment. Eventuell muss man ihn auch über 20 Jahre hinweg begleitet haben, um das Ausmaß seiner Großartigkeit nachvollziehen zu können.
Damals, beim Saturn Hansa in Hildesheim, habe ich in „Solange Die Rasenmäher Singen“ bloß deshalb reingehört, weil es eine Special Edition der CD gab, deren Cover mit grünem Filz überzogen war, die beim Durchblättern zwangsläufig an den Fingern hängenblieb. Ich habe das erste Lied abgewartet, es aus unerfindlichen Gründen für eine poppige Variante von Die Ärzte gehalten, und die CD ansonsten unbesehen gekauft. Erst zuhause habe ich schließlich festgestellt, dass es hier um mehr als Humor geht.
Solange Die Rasenmäher Singen
Bei „Solange Die Rasenmäher Singen“ handelt es sich um ein Konzeptalbum, eine musikalische Coming of Age-Story; ebenso nostalgisch wie zärtlich ernüchternd. Bernd Begemann, Anfang 30 als das Album erschien, erzählt eine zutiefst persönliche Geschichte über's Aufwachsen in deutscher Kleinbürgerlichkeit, über Freundschaft, die erste große Liebe, die damit verbundenen Enttäuschungen und das unweigerliche Weitermachen. Eben darüber, wie man sich mit dem Älterwerden und sich selbst arrangiert. Um das Thema auf den Punkt zu bringen, braucht er gerade mal schlappe 33 Minuten.
Obwohl ich erst 19 Jahre alt war, habe ich sofort gespürt, dass ich es mit etwas durch und durch (Achtung: inflationär benutzter Begriff) Authentischem zu tun habe; dass hier von etwas berichtet wird, was mir größtenteils noch bevorsteht, das ich zwar erahnen kann, aber noch nicht völlig nachvollziehen. Spoiler Alert: Und so kam's dann auch.
Nach dem Folgealbum, „Jetzt bist du in Talkshows“ (1996), dem Soundtrack zum Film „Sexy Sadie“ (mit Jürgen Vogel und Corinna Harfouch), der No-Budget TV-Sendung „Bernd im Bademantel“ und etlichen besuchten Konzerten, war ich felsenfest davon überzeugt, dass Bernd Begemann nun zum Star werden würden. Wie könnte es anders sein?! Was ich in meinem jugendlichen Idealismus allerdings noch nicht geblickt hatte:
Die meisten Menschen sind zu doof, um Qualität zu erkennen.
Logisch. Stattdessen feiert der Pöbel, was auch immer ihm von Fernsehen oder Radio als neueste Sensation verscherbelt wird, schmeißt seine Kohle den immergleichen glattpolierten Abziehbildern von Altbekanntem in den Rachen und ist sowieso ... ehhhm.
Sorry. Elitärer ging's gerade nicht, ich weiß,
aber was willste machen? Pfff ...
Während Begemann früher, zumindest in meinen Augen, pures Slackertum repräsentierte, ist dieser Look inzwischen einem … sagen wir mal: Wirtschaftswunder 2.0-Anstrich gewichen, der ihm paradoxerweise ebensogut steht. (Ich bin manchmal übrigens total oberflächlich.) In Interviews gibt sich Begemann seit der Geburt seiner Tochter, versöhnlicher. In einem Interview mit der TAZ sagte er:
Im Moment ist es so, dass ich mich entweder um mein Kind kümmere oder unterwegs bin. Meine Miete verdienen. Das ist ein ordentlicher Rhythmus. Aber ich bin nicht geneigt, etwas in Stein zu meißeln. Außer: Man muss sich um sein Kind kümmern. Das ist in Stein gemeißelt. […] Meine Tochter ist eine große Freude und eine exquisite Verantwortung und eine Zumutung. Man ist verantwortlich für jemanden, der sich völlig unverantwortlich benimmt!
Fazit? Bernd Begemann ist einfach zu eigenwillig, um ein Massenpublikum zu erreichen. Ohne dass seine Musik einen direkten Bezug zum Deutschpunk hätte, schwingt doch eine ähnliche Ihr-könnt-mich-alle-mal-ey-ich-ziehe-hier-mein-eigenes-Ding-durch-Haltung mit. Und das ist auch gut so. Ich sehe nicht wirklich, wie er mit seiner ebenso klugen wie schnippischen Art im öffentlich-rechtlichen Unterhaltungsmolloch funktionieren könnte. Seine Musik repräsentiert die ganze Bandbreite persönlicher Erfahrungen, tut deshalb auch manchmal weh, und lässt sich nicht auf ein leicht zu vermarktendes Wohlfühl-Feeling reduzieren, über das man mit Arschlöchern wie Markus Lanz plaudern könnte, während der Gewinner des Dschungelcamps neben einem hockt. Aber, mein Gott, was würde ich dafür geben, Bernd Begemann beim Lanz zu sehen!? Hm. Wie dem auch sei. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Bis dahin feiere ich „Solange die Rasenmäher“ still für mich, entdecke es alle paar Jahre neu und erinnere mich daran, wie es sich früher angefühlt und seitdem verändert hat. Und dass der Bernd das alles damals schon wusste. Danke dafür, Bernd.