Rock/Experimental/Alternative
Kscope
09.06.2017
www.anathema.ws
Tracklist:
- 63N 117.14W
- Leaving it behind
- Endless ways
- The optimist
- San Francisco
- Springfield
- Ghosts
- Can't let go
- Close your eyes
- Wildfires
- Back to the start
Wellen, Schritte, lautes Atmen, knallende Autotüren und ein Sendersuchlauf. Viele Jahre nach dem großartigen „A Fine Day to Exit“ bringen uns Anathema zurück nach „32.63n 117.14w“, um zu enthüllen, was mit dem verzweifelten Protagonisten des 2001 erschienenen Langspielers geschehen ist.
Die Reise beginnt. „The Optimist“ gibt mit „Leaving It Behind“ eine neue Richtung vor, mag mensch nach den ersten Klängen meinen. Elektronische Beats, hintergründiges Guitarpicking und Vincent Cavanaghs Stimme treiben den Song nach vorn und vermitteln den HörerInnen ein befremdliches Gefühl. Mit „Endless Ways“ löst die glasklare Stimme von Lee Douglas Cavanagh ab. Zu seichten Klavierklängen säuselt sie die ersten Zeilen bis sich Streicher und Synthieschlagzeug schließlich gegenseitig hochschaukeln und Lee Douglas Gesang in den Hintergrund verbannen.Mit Titel vier stellt uns Vincent Cavanagh dem Optimisten vor. Erneut gibt das Piano den Ton an, bevor nach und nach auch der Rest der Kapelle einstimmen darf.
Die Reise führt vorbei an „San Francisco“. Rein Instrumentell mit fast schon einfältiger Klavieruntermalung und kühlen, elektronischen Spielereien, ist vom Summer of Love 1967 nur wenig zu spüren.
Der Optimist erreicht schließlich „Springfield“, welches ihn überraschenderweise mit einer Gitarre in Empfang nimmt, die schon nach kurzer Zeit wieder von dem neuerlich heißgeliebten Piano abgelöst wird. „How did I get here“, fragt sich Lee Douglas, bevor gewaltige Soundwände drohen, ihre zarte Stimme zu erschlagen. Der ein oder andere Hörer fragt sich das vielleicht auch, denn die Songs ziehen vorbei wie Wegweiser auf der Straße, ohne wirklich nachhaltige Eindrücke zu hinterlassen.
„Ghost“ schwebt vorsichtlich - zerbrechlich vor sich hin, bevor die ersten Schlagzeugtöne von „Can’t let go“ erklingen. Automatisch vermutet man Billy Idols „Dancing with myself“, zumindest, bis Vincent Cavanagh zum neu entdeckten Synthesizer säuseln darf. Eine schnelle Nummer, passend zu einer Fahrt auf der Autobahn bei Nacht.
Kurz vor Ende der Fahrt droht Lee Douglas uns mit „Close Your Eyes“ einzulullen, Düster, schwer, jazzig. Blasinstrumente werden ausgepackt. Von den Anathema wie wir sie kennen keine Spur. Düster geht es auch mit „Wildfires“ weiter. Drei Minuten schleicht der Titel bedrohlich vor sich hin, bevor er mit einem lauten Knall die ZuhörerInnen zurück zu Bewusstsein bringt.
„Back tot he Start“ zurück am Meer. Fast schon Pink Floyd-esk. Zurückhaltend leiten Gitarre und die angenehme Stimme von Vincent Cavanagh den Song ein, um nach etwas über 1,5 Minuten endlich, das erste Mal auf „The Optimist“, Cavanaghs pure, unveränderte Stimmgewalt offen zu legen. Das einzige Gänsehäutchen während der Gesamten Platte breitet sich aus, bis uns die vielfältig eingesetzten Streicher zurück zum Protagonisten führen.
How are you?
Handbremse, Autotür, Schritte auf Beton, Klopfen, Tür auf. „How are you?“, Kinderstimme, Wellensittiche. Der Optimist ist zurück zu Hause.
Eine lange Reise, die Anathema ihren HörerInnen zumuten. „The Optimist“ entpuppt sich als ein Album, das den Liebhabern der Band einiges abverlangt. Nach dem Motto: „Mit 'nem gut gestimmten Klavier kriegen wir alle rum“, experimentiert sich die Gruppe um Mastermind Danny Cavanagh durch ein völlig neues, spärisches Klangspektrum und schenkt dem Zuhörer eine sauber produzierte Platte. Betrachtet man das Gesamtwerk, fallen immer ähnliche Songstrukturen auf, ein leises Piano leitet den Song ein bevor er von orchestralen Klängen emporgehoben wird. Es fehlen die Gitarren, die einprägsamen Ohrwürmer, die bombastischen Klänge der Vorgänger, sowie (in diesem Fall glücklicherweise) der „In Your Face- Kitsch“ der jüngeren Texte. Die Lyrics auf „The Optimist“ sind kurz und knapp und lassen der Musik den Vortritt.
Es ist schön, dass der Optimist zurück nach Hause gefunden hat, jedoch fragt mensch sich zwangsläufig, wie die musikalische Reise des Pessimisten verlaufen wäre.