Für den Open Air Abschluss in diesem Jahr haben sich die Veranstalter von Aust Konzerte etwas ganz Großes einfallen lassen. Die Elektro-Pioniere Kraftwerk nehmen rund 18.000 Besucher auf dem Theaterplatz in Dresden mit auf ihre Reise, zurück in die Zeit, als man noch nicht mal ahnte, was 4K für eine Auflösung ist.
Wie sind also nicht im Jahr 11111101000, sondern laut Projektion eher in den 90ern. Und genauso mischen sich auch die Baujahre der Zehntausenden vor Ort. Während einzelne Kinder oder auch Menschen um die 20 direkt vor dem Balkon der Semperoper ausgiebig tanzen, sind doch die meisten hier Babyboomer, Millennials oder Generation X. Doch alle sind sie da, um zu erleben und zu staunen, was Kraftwerk heute auf und mit ihrer Semperoper anstellen.
Die Konzertankündigung verspricht bereits Großartiges und wer Bilder und Videos der vergangenen Kraftwerk Konzerte beispielsweise in Wien gesehen hat, der ist schon mehr als ein klein wenig aufgeregt. Für das einzige Deutschlandkonzert hat sich das „Multimedia Projekt“ die Dresdner Semperoper als Projektionsfläche für ihre beeindruckende Lichtshow ausgesucht. Die erste Überraschung gibt’s auch gleich zu Beginn. Zehn Minuten vor angekündigtem Show-Beginn flimmern bereits die ersten grünen Nullen und Einsen über die historische Fassade der Semperoper. Die Sonne ist am Untergehen und zaubert einen sanften Abendhimmel hinter die Silhouette der des historischen Gebäudes.
Mit „Nummern“ beginnt die Reise von Kraftwerk mit den gespannten Dresdnern, die nach dem Einsturz ihrer Carolabrücke vor einigen Tagen wirklich mal eine Verschnaufpause brauchen. Auf dem Balkon der Semperoper leuchten die vier Instrumente bereits wie kleine Bojen, die passenden Menschen in Anzügen erscheinen und dann weiß man sofort wie 18.000 Menschen auf dem Theaterplatz klingen.
Wer nicht ganz so glauben kann, was da vor ihm passiert, der zückt das Smartphone und vertieft sich im Nachgang hoffentlich intensiv in dieses Videoerlebnis. Es war auch ausgesprochen nett vom Wettergott, den Regenguss ab Samstagnachmittag für ein paar Stunden einzustellen. Und auch mit dem Hochwasser lässt er sich noch ein paar Tage Zeit. Emotional ergreifend waren für die Dresdner bereits die letzten Tage genug. Umso schöner, dass Kraftwerk die Stadt an diesem Wochenende auf eine eindrucksvolle, aber doch emotionslose Reise mitnehmen. Emotionslos nicht im negativen Sinne. Elektronische Klänge von Kraftwerk lösen keine krassen Gefühle aus, sind aber im höchsten Maße zum Abschalten, Staunen und auch Schmunzeln geeignet. Nicht umsonst hat die Band einen Grammy bekommen oder darf es sich neben Elvis in der „Rock and Roll Hall Of Fame“ gemütlich machen. Einen Elvis lassen Kraftwerk nicht über die Semperoper tanzen. Dafür gibt es Autobahnen, das Weltall, die Tour de France, Herztöne mit krassestem Bass und Vitaminpillen, die über die Fassade hopsen. Auch die Deutsche Bank, das FBI und Interpol sind mit dabei. Die Animationen selbst sehen aus wie aus dem Jahre 1990 und verleihen ein wunderbares analoges Retrogefühl. Damals als man noch ganz ohne Internet Fernsehen gucken musste, den Videorecorder programmieren, Teletext lesen, Lochkarten für die Datenverarbeitung nutze, 1 GB ein unfassbar großer Speicher war.
Und so tanzt und filmt sich Dresden durch den Abend. Die Computerwelt ist quasi auf dem Theaterplatz. Was würden wir nur alle ohne unser Smartphone machen? Sind wir nicht alle ein bisschen Roboter? 😉
Galerie (by Kristin Hofmann bs! 2024)
Kraftwerk (14.09.2024, Dresden)
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