Wenn man zu Konzerten von Musiker*innen geht, deren Musik man gut kennt, die gerne und schon lange begleitet, deren Musik einen genau so lange begleitet wie man (bewusst) Musik hört, dann kann es eben sein, dass sich bei ebendiesen Konzerten eine gewissen Routine einzuschleichen droht. Man kennt Mimik und Gestik der Musiker*innen, kann Bewegungsabläufe abschätzen, freut sich auf kleine Anekdote und Erzählungen.
Wenn dann solch ein Konzert eine Änderung im Pressegehabe ankündigt bewirkt das bei mir eine latente Aufregung. Ein bisschen wie ein erstes Date mit einem früheren Bekannten. Konkret heißt das: Für mich geht’s ausnahmsweise mal ohne Kamera aufs Konzert zu Element of Crime in den Lokschuppen Bielefeld. Fühlt sich nackt an, mit dem unguten Gefühl im Nacken irgendwas grundlegendes zuhause vergessen zu haben. Die Position des Kamerakindes hat nicht etwa jemand anderes inne, das Konzert findet gänzlich ohne fotografische Presse statt. Ob ich’s trotzdem (oder gerade deswegen?) genießen kann?
Element of Crime und der Regen. Das ist ein fest verschweißtes Paar, tief verankert in Kopf und Herz. Umso glücklicher der Umstand eines Indoorkonzerts zu Herbstbeginn in Bielefeld. Aber (regen)sicher ist hier nichts. Wenn schon nicht draußen außgiebig über sämtliche Möglichkeiten gesungen wird sich den feuchten Himmelsfreuden hinzugeben, so muss doch wenigstens der Einlass gebührend begossen werden. So oder so ähnlich die Logik des Wettergottes, der*die die geordnet auf den Einlass wartenden Zuschauer*innen kurzerhand durch den Monsun schickt.
Der plötzliche Wolkenbruch stellt sicher: Trockenen Fußes erreicht gerade niemand die heiligen Hallen des Lokschuppens und so schüttelt sich in schützender Atmosphöre der überdachten Eingangshalle ein mancher hundegleich die losen Tropfen aus den Haaren. Immerhin: Wenn alle nass sind, sticht niemand heraus. Immerhin drängen durch diesen Umstand alle schnell rein. Steter Tropfen füllt den Saal, so früh so voll im Lokschuppen das überrascht doch ein wenig, auf die positivst mögliche Art.
Wem die Aussicht auf ein Element of Crime Konzert noch nicht Schmankerl genug ist, dem sei die Vorband – besser gesagt das Vorduo – Steiner und Madlaina wärmstens ans Herz gelegt. Mit neuem, dritten Album im Gepäck, Huckepack dazu noch der Soundtrack vom Kinofilm „Sophia, der Tod und Ich“ nach der Romanvorlage von Thees Uhlmann, erklimmen Nora Steiner und Madlaina Pollina derzeit die Schweizer Alpen des Musikolymps. Reduziert unterwegs als Duo (und bekennende Element of Crime Fans) bestechen die beiden Schweizerinnen mit einer Mischung aus Hoch- und Schweitzerdeutschen Songs.
Hundertundfünf Sympathiepunkte auf einer Skala von eins bis zehn, da fällt Bielefeld sogar das Mitsingen leicht. Die gute halbe Stunde Auftritt macht Lust auf mehr, zum Glück kann Abhilfe geschaffen werden. Bald sind die beiden mit Band auf Tour, ein fester Termin im Konzertkalender zum Jahresende.
Aus unseren Mündern kommen Schall und Rauch.
Wir haben keine Lösung,
Wir haben Lieder.
Seeligst eingelullt schon von der Vorband, das schönste Gefühl, ein bisschen wie schwimmen in Honig. Der Abend ist gut, der Abend kann nur gut bleiben. (Achtung Spoiler!) Und genau so wird es sein. Viertel vor Neun: Licht aus, Licht an. Hallo du wunderschöne Poesie, hallo Sven und Jakob und Markus und Richard. Mit erhellen des Bühne wandelt sich die Stimmung und verschmilzt zu einer großen Masse Glückseligkeit. Hallo Menschen an Ton und Licht und hallo liebes Mitpublikum! Um mich herum wird gesungen, geklatscht und getanzt. Oder andächtig gelauscht. Alle miteinander, alle im hier und jetzt Mikrokosmos Lokschuppen. Nur wenige Lieder reichen um zu merken: Das ist ein Glanzauftritt in gleißend hellem Licht, das Bühnenbild nur durch die Musiker gestaltet. Ein wenig sehr blutet das Herz, hier nicht fotografieren zu dürfen.
Nur wer sich bewegt, fällt jetzt nicht um.
Nicht schlimm wenn wir heut blind sind,
Nur stumm wolle wir nicht sein.
Wir müssen lauter schrei’n
Denn sonst hört man uns kaum.
Hier und da ein Querverweis auf Romane, Begegnungen oder Geschehnisse. Wer will schon aus Berlin kommen, wenn man die neue deutsche Welle hinter sich lässt? Dazwischen: Musik. Gewohnte exzellente Element of Crime Qualität? Nö. Irgendwie ist heute noch besser als sowieso eh schon. Um nicht zu sagen: Das beste Element of Crime Konzert auf dem ich jemals war. Woran das liegt? Schwer festzumachen. Der Ton gewohnt super, die Band einwandfrei, Applaus für das hervorragende Bielefelder Publikum, ich denke die Mischung macht’s. Heut Abend sind wir alle jung und schön. Und so gehts Song um Song durch fast 40 Jahre Bandgeschichte. Lass den Abend doch bitte nie enden!
Ob du deine Currywurst
Mit oder ohne Darm isst.
Ob reich du, oder arm bist.
Da guckt kein Schwein genauer hin.
So richtig ist ein Element of Crime Konzert ohne Herbstgefühl aber doch nicht. Nachhaltig, durch Mark und Bein muss das Erschaudern gehen, denkt man an dunkle, kalte Herbstabende, verregnet und ein wenig windig. Für das „mit einer Tasse Tee in der Hand aus dem Fenster gucken und glücklich sein, nicht nochmal raus zu müssen“-Gefühl wird natürlich gesorgt. „Wenn es dunkel, und kalt wird in Berlin“ markiert den Abschluss dieses großartigen Konzerts und entlässt einen Strom aus Menschen seelig, herbstlich und andächtig in die Nacht.
Romantik!
Setlist:
- Unscharf mit Katze
- Am ersten Sonntag nach dem Weltuntergang
- Immer noch Liebe in mir
- Dann kommst du wieder
- Ohne Liebe geht es auch
- Jetzt musst du springen
- Nur der Anfang
- Was mein ist, ist auch dein
- Immer nur geliebt
- Nightmare
- Kaltes Herz
- Jung und schön
- Weißes Papier
- Deborah Müller
- Ein Hotdog unten am Hafen
- Liebe ist nur ein Wort
- Alles in Ordnung
- Morgens um vier
Encore 1 - Moonlight
- Am Ende denk ich immer nur an dich
Encore 2 - Vier Stunden vor Elbe 1
- Delemenhorst
- Geh doch hin
- Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin