Liraz: Roya (2022)

Liraz: Roya (2022) Book Cover Liraz: Roya (2022)
Elektropop
Glitterbeat
02.10.2022
https://idol-io.link/Roya

Tracklist:
01. Roya
02. Azizam
03. Doone Doone
04. Mimiram
05. Tanha
06. Bishtar Behand
07. Junoonyani
08. Gandomi
09.Omid
10. Bi Hava
11. Roya - Female Version

Die krassesten Parties auf der Welt gibt es in Tehran, sagt man. Ein einziger Tanz auf dem Vulkan. Eine gigantische Feier des Lebens. Das jeden Moment zuende sein kann. Der letzte Tanz, das letzte Glas, die Sittenpolizei stürmt den Saal, man landet im Gefängnis, am Galgen. Man muss flüchten, in den Keller, aufs Dach - Szenen, die Natalie Amiri in ihrem Buch „Zwischen den Welten“ eindringlich beschrieben hat.

ROYA (deutsch „Fantasie“), die neue Platte der iranisch-israelischen Sängerin und Schauspielerin Liraz Chargi ist der Soundtrack dieses Tanzes auf dem Vulkan. Elf Songs, heimlich aufgenommen in Istanbul mit ihrer israelischen Band. Zusammen mit Musikerinnen aus dem Iran, unter Lebensgefahr für sie. Songs auf Farsi, der Sprache Irans. Songs in der Tradition der persischen Popmusik der 60er und 70er Jahre vor der islamistischen Revolution. Als Frauen im Iran noch selbstverständlich in Minirock, Bikini am Strand und mit ihrem Haar frei im Wind leben durften. Als iranische Superstars wie Googoosh, Dariush, Hayedeh, Ebi die Konzerthallen Persiens füllten.

Mit ihrer Musik stellt sich Liraz an die Seite der für die Freiheit und Selbstbestimmung kämpfenden Frauen und Männer auf den Straßen Irans. Für Liraz sind Musik und Tanz ein Akt der Auflehnung. Diese Platte und ihre Entstehung sind hoch politisch. Große Kunst für die Freiheit der Frau. Songs wie das psychedelische AZIZAM, zu deutsch „Liebster“, über die Liebe und die Sehnsucht eines Paares, das nicht zusammen sein darf und unendlich weit weg voneinander sein muss. Spiegelbild der Beziehung zwischen uns und unseren iranischen FreundInnen. Songs wie DOONE DOONE über das sich wirklich Begegnen und einander nur in echter Liebe Erkennen können. Über die Amour Fou, wie nur die persische Seele die Liebe besingen kann. Der Ohrwurm TANHA. Die frech funkelnde Discokugel BISHTAR BEHAND feiert die heilende Kraft des Lachens und der Zweisamkeit und sagt, dass wahre Revolution nur mit Lachen gemacht werden kann. Plötzlich wilder Gitarrenrock von JUNOONYANI und bittersüßer Schmerz in GANDOMI, der einem das Herz bricht. Gleich wieder geheilt von OMID, Hoffnung verbreitet sich. Und wird dann umschlungen vom langsam getragenen BI HAVE.

Die elf Songs vermischen mit einer unglaublichen Intensität persischen Synthie und Discoklänge. Mit Anklängen an den französischen Pop der Nouvelle Vague der späten 60er (in DOONE DOONE), very british flirrendem Spacesound wie aus Gerry-Anderson - Filmen ( in ROYA ), genialem Gitarren-WahWah, vibrierenden Keyboards und darüber erklingt die intensive kraftvolle und immer wieder sooo zarte Stimme von Liraz voller Sehnsucht und Liebe. Magie pur.

ROYA ist die dritte Platte von Liraz auf Farsi. Die ersten beiden Platten NAZ (englisch “Cute”) und ZAN (deutsch „Frau“) konnte sie mit den MusikerInnen im Iran nur anonym über das Internet aufnehmen. Auf ROYA spürt man in jedem einzelnen Ton der Platte die unstillbare Lust nach Leben, Freiheit, Ekstase und der Gefahr, die darin steckt. Das Feiern der Nacht, die vielleicht keinen Morgen mehr hat.

Im Interview erzählt Liraz, dass sie den allerletzten Song fast nicht mehr einspielen konnte, weil ihr die Angst um Ihre iranischen Mit-Musikerinnen auf dem Heimweg die Kehle zuschnürte. Man hört es deutlich, der letzte Ton der in einem Take aufgenommenen Acoustic-Version von ROYA endet mit einem von Liraz total zerbrechlich hingehauchten „Thank you“, die iranischen Musikerinnen verlassen gerade das Studio, verschwinden in der Dunkelheit.

Was für eine Mischung aus intensiver Lebendigkeit, großem Schmerz und großer Hoffnung. Ein Kleinod persischer Seele, gegossen in unglaubliche Musik. Ganz großes Kino.

Jetzt singen die unfassbar mutigen Frauen und Männer auf den Straßen Irans Liraz´ Lieder und unterlegen die Videos ihrer feministischen Revolution nach dem Tod von Jina Mahsa Amini im Gewahrsam der Sittenpolizei mit den Liedern von Liraz.

Die Revolution tanzt.
Die Platte des Jahres.

Mehr über Liraz und wie "Roya" live klingt, lest Ihr hier.

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