Der Mann nimmt sich gleich der großen Sache an. Frei nach dem Motto nicht Kleckern, sondern Frotzeln, ääh Klotzen: Jan Böhmermann ist mit dem RTO Ehrenfeld auf großer Wiederaufbautour durch Europa. Nicht schlecht.
An alle da draußen: Anders sein ist gut
Alle Wege führen nach Rom
Wir trampen nach Alaska
Barfuß durch den Regen
Der Mann hat sich was vorgenommen:„Das Rundfunk Tanzorchester Ehrenfeld und ich möchten mit unserer großen Tour 2019 versöhnen, Wunden heilen und Brücken bauen. Wir holen die Menschen da ab wo sie sind, fahren sie einen Abend lang durch die Gegend und lassen sie völlig verwirrt, erschöpft aber glücklich da wieder raus, wo wir sie abgeholt haben.“ Uuuhh das trieft schon vor Ironie.
Eigentlich müsste den ganzen Abend ein Scherge hinter dem Böhmermann her sein, und den Boden wischen, damit auf der Ironiepfütze keiner ausrutscht, was bekannterweise auch schon mal zu international-juristischen Verwicklungen führen kann. Mit „Na ihr Niedersachsen, wir sind Fury in the Slaughterhouse“ fängt der Abend verhältnismäßig provokationsfrei an. Böhmermann kommt ludenmäßig im Fellmantel und in Glitzerhose daher. Sehr cooles und doch sehr schweißtreibendes Outfit. „Habe ich einem Neonazi über die Ohren gezogen.“ Böhmermann hat sich auf Hannover vorbereitet. „Ich bin die deutsche Antwort auf Oliver Pocher.“ Dann noch ein paar Bemerkungen zum Tabellenstand des örtlichen Bundesligisten. In die Marienburg will er mit seinem Orchester sowieso einziehen. „Die ist gerade günstig zu haben“. Herr B hat seine Hausaufgaben gemacht, doch Hannover und seine Region geben (im Moment) nicht so viel Skandalöses her, also muss das Ganze mal ausgeweitet werden. Wenn mensch ein eigenes Lied hat, kann das durchaus positiv sein.
Wenn man allerdings bei Böhmermann einen eigenen Song hat, ist das eher ein Problem für den Betroffenen. „Rainer Wendt“ ist so ein Problemfall, wird dem Polizeigewerkschaftschef doch „Rechtspopulismus nachgesagt. „Sind hier irgendwelche Nazis in der Halle?“ fragt Böhmermann. Komischerweise gehen gar keine Hände hoch. Gut so. Die 3400 Fans in der Swiss Life Hall stehen auf solche Fragen. Da ist mensch doch gleich drin im Böhmermann-Universum. Mißstände aufdecken, Schmäh-Songs über Leute raushauen, die sich politisch in Deutschland lächerlich gemacht haben. Zack, bumm. Wer es noch nicht wußte: „Es gibt keine Nazis in Sachsen“. Der ZDF-Neo-Magazin-Royale-Böhmermann liefert einen politischen Liederabend in groß ab. Begleitet wird er dabei von einem großartigen 17 köpfigen Orchester. Das Rundfunk Tanz Orchester Ehrenfeld ist fast schon der heimliche Star an diesem Abend. Sie liefern Jan B die Grundlage für seine Ironie-Songs und das ganze verpackt in einem bemerkenswerten, klaren Sound.
Ich habe richtig Bock auf Boxen und auf Wrestling
Der Türsteher sagt: “Nein, du hast eine Scheide, Schätzchen!”
Und mein größter Traum ist endlich eine eigene Show in der Glotze
Doch das ist leider unmöglich denn ich habe eine empfindliche Mischhaut
Böhmermann hat oft eine unbequeme eigene Meinung und scheut nicht diese auch offen kund zu tun. Er will an die ran, die sonst medial nur mainstream unterwegs sind. Unterstützung erhält er auf der Tour von Florentin Will. Sein „Marder“-Song kommt jetzt nicht unbedingt politisch daher, hat aber einen enormen Wortwitz. Zweiter Gaststar ist Giulia Becker. Ihr Lied „Verdammte Schei*e“ greift die Ungerechtigkeiten auf, die Frauen im Berufsleben durchmachen. Leider ein immer noch undenkbarer Zustand in unserer eigentlich doch so aufgeklärten Gesellschaft. „Wir sind Versandsoldaten – Kampflied der Paketkuriere“ kommt musikalisch einfach daher, ist dafür umso martialisch einprägender. Wieder ein Protestsong gegen Ausbeutung. Böhmermann kann auch rappen, und zwar gar nicht mal so schlecht. „Blasserdünnerjunge macht sein Job“ ist ein Lied über ihn selbst. Es ist Böhmermanns zweiter Song unter dem Pseudonym „POL1Z1STENS0HN“, in dem er einen dünnen, unsportlichen, blassen Streber porträtiert, der dann auch noch im Bus vorne sitzen muss, um den Assis aus dem Weg zu gehen. Das kommt einem doch irgendwie bekannt vor.
Neue Hymnen braucht das Land.
Mit Kay One verbindet ihn schon ein besonderes Verhältnis, nimmt Böhmermann doch gleich zwei Songs aufs Korn. Erst geht’s um „Style & das Geld“ und dann performt er zusammen mit Giulia und Florentin den Song „Senorita“ so, als wäre es die neue Natinonalhymne. Genial.
Als Hymne taugt „Ich hab Polizei“ eher weniger, aber im Zugabenteil ist der Song ein Volltreffer. „Jemand stiehlt die Show“ von Herman van Veen ist dann Abschluss eines sehr bemerkenswerten Abends. Jan Böhmermann und das RTO Ehrenfeld werden mit Sicherheit wiederkommen. Und das mit neuen Songs. Hört sich jetzt komisch an: Leider. Zu beschmähen gibt es immer was. Leider.
Achtung, muck nicht, sonst hol‘ ich Polizei
Fährt mit Limousine bei dir zu Haus vorbei
Stehen bleiben, Beine breit, Ausweis dabei?
Hast du was dagegen? Ruf doch Polizei!
Galerien (by Michael Lange bs! 2019):
Setlist:
- Intro
- Ach wär ich nur (Song über Jan Böhmermann und den Abend)
- Baby Got Laugengebäck
- Rainer Wendt
- Es gibt keine Nazis in Sachsen
- Wir sind Versandsoldaten – Kampflied der Paketkuriere
- Marder (with Florentin Will)
- Toxic (Britney Spears cover)
- Verdammte Schei*e (Gesungen von Giulia Becker)
- Grab US by the pussy (Duett Jan Böhmermann und Giulia Becker)
- Blasserdünnerjunge macht sein Job
- Recht kommt
- Hymn (Ultravox cover) (Vorstellung der Orchesters)
- Menschen, Leben, Tanzen, Welt
- Style & das Geld (Kay One cover)
- Senorita (Kay One feat. Pietro Lombardi cover)
- Harder, Better, Faster, Stronger (Daft Punk cover)
- Ich hab Polizei
- Jemand stiehlt die Show (Herman van Veen cover)
- Outro (Instrumental)