Review: Die Kapelle der Versöhnung & Rainald Grebe’ske Volkslieder (22.07.2018, Dresden)

Die Programmverantwortlichen der Filmnächte am Elbufer haben für die heutige Sonntag-Nachmittagsverstellung Rainald Grebe & Die Kapelle der Versöhnung nach Dresden eingeladen. Die vier Musiker sind wie schon im letzten Sommer aktuell auf verschiedenen Open-Air-Bühnen mit „Das Wigwamkonzert“ unterwegs, in dem es laut Programmheft „Brandneue Songs und Klassiker, Halbgares, Improvisiertes und Abgehangenes.“ geben soll. Ich bin sehr gespannt und bei vielen anderen BesucherInnen am Dresdner Elbufer scheint dies ebenso der Fall zu sein, denn die mittleren Reihen mit Blick auf die Bühne sind bis oben hin besetzt. Vor der großen Leinwand der Filmnächte ist die ziemlich kleine Kulturbühne aufgebaut, auf der neben Gitarren, Keyboards, Schlagzeug und einem Flügel fast kein Platz mehr ist. Ich bin mir sicher, dass sich Die Kapelle der Versöhnung diesen wieder erschaffen wird, schließlich haben die Texte meist Raum für einen doppelten Boden.

„Ich will Volkslieder singen“

Rainald Grebe, Filmnächte Dresden (Foto: Kristin Hofmann bs! 2018)
Rainald Grebe, Filmnächte Dresden (Foto: Kristin Hofmann bs! 2018)
Rainald Grebe, Filmnächte Dresden (Foto: Kristin Hofmann bs! 2018)
Rainald Grebe, Filmnächte Dresden (Foto: Kristin Hofmann bs! 2018)

Das Intro ist gespickt durch Soundschnipseln mit kurzen Zitaten bzw. Schalgzeilen aus Geschichte/Politik und alten Werbesprüchen, welche im ersten Moment hintereinander gereiht kaum Sinn ergeben und ziemlich abgehackt aus dem Zusammenhang gerissen sind. Aber beim zweitem Hinhören ergeben sich dann doch neue Inhalte, quasi wie die Lieder von Grebe & Co. – Ein Verweis darauf, was die ZuschauerInnen in den kommenden Minuten erwarten dürfen/können/sollen/müssen/werden. Pünktlich („Typisch Deutsch“) um 17.00 Uhr betreten die Indianer & der Häuptling ihr Podium und laden das Auditorium herzlich dazu ein, (ihre) „Volkslieder“ (mit) zu singen.

 

 

„[…] Mein Hirn hat so viel Kammern, die kann man alle füll’n
mit eins, mit null, mit Wichtigem, mit Müll. […]“
(Auszug aus „Mutitasker“)

Rainald Grebe, Filmnächte Dresden (Foto: Kristin Hofmann bs! 2018)
Rainald Grebe, Filmnächte Dresden (Foto: Kristin Hofmann bs! 2018)

Der „Multitasker“ wechselt im ersten Teil, mal sitzend, mal stehend auf leeren Bierkästen, zwischen seinem elektronischen Tasteninstrument bzw. dem klassischen Flügel hin und her. Erzählt singend vom „Urlaub“ in „Albanien“ oder von seinem Leben in Berlin Mitte mit dem „Loch im Himmel“ und wird dabei von seinen drei Mitmusikern dezent im Hintergrund spielend unterstützt. Auch an Showelementen wird nicht gespart, nach ganz viel und lang anhaltendem Einsatz der Nebelmaschine ist so viel Rauch auf der Bühne, dass von Grebe & der Kapelle von den hinteren Reihen aus kaum noch etwas zu erkennen ist – deshalb heißt das Motto auf der Kommandobrücke der Bühne beim nächsten Programmpunkt erst ein Mal „Fahrn auf Sicht“. Als sich der Nebel langsam wieder verzieht und nur noch heiße Luft übrigbleibt, sitzt Rainald Grebe am Flügel, mit Perücke aus dem barocken Zeitalter passend in der Kulturhauptstadt (2025?), und intoniert „Morgenstimmung Abendstimmung“. Was beim Publikum in der sogenannten (gewollt/ungewollten) Hauptstadt des christlich geprägten Abendlandes etwas gemischte Reaktionen hervorruft. Es ist eben immer einfacher über Andere, wie die Brandenburgen oder die Sachsen-Anhaltiner, als über sich selbst zu lachen. Bei der „Drecks-Biologie“ wie er das Älterwerden beschreibt, hat Grebe wieder die gesamte ZuschauerInnenschar auf seiner Seite und ebenso eine (scheinbar) gute Lösung für die (eventuelle) Verzögerung dieses natürlichen Prozesses mitgebracht „Fitnessstudio“.

Rainald Grebe, Filmnächte Dresden (Foto: Kristin Hofmann bs! 2018)
Rainald Grebe, Filmnächte Dresden (Foto: Kristin Hofmann bs! 2018)

Da Rainald Grebe ja eh schon die Jogginghose an hat, lädt er gleich alle ein aufzustehen und mitzuspringen. Da ist er doch wieder der doppelte Boden – ach was heißt hier doppelt, dreifach. Außerhalb des Geländes der Filmnächte sind am Elbufer RadfahrerInnen, JoggerInnen und InlineskaterInnen unterwegs und ich frag mich gerade ‚welchen Film die jetzt fahren, wenn sie das Treiben vor der Bühne betrachten und dabei die Ansagen aus den Boxen hören, ohne dabei genau zu wissen, welcher Künstler hier gerade auf der Bühne steht?‘ – großes Kino. „Und immer viel trinken, viel trinken es ist warm hier auf der Bühne“, die Ansage von Rainald Grebe an Die Kapelle der Versöhnung gilt ebenso für das Publikum, denn jetzt gibt es die kulinarische (Zwangs-)Pause. Also Zeit den ganzen Input ein wenig sacken zu lassen.

„[…] Wir meinten alles ironisch
auch die Ironie
Und ich wär gern länger geblieben
Ich glaub, wir haben Geschichte geschrieben […]“
(Auszug aus „Die 90er“)

Rainald Grebe, Filmnächte Dresden (Foto: Kristin Hofmann bs! 2018)
Rainald Grebe, Filmnächte Dresden (Foto: Kristin Hofmann bs! 2018)

Nach der Pause nimmt Grebe den Faden mit den körperlichen Gebrechen wieder auf und berichtet von einem leichten Schlaganfall, den er bei einem Konzert im letzten Jahr erlitten hat und deshalb den Auftritt abbrechen musste. Wobei ich annehme, dass in solch einem Moment ein Abbruch das geringste Problem ist. Jedenfalls ist das mit der Grund, warum er bei einem nun folgenden Medley den Ablauf mit zu Hilfe nimmt. In der musikalischen Zusammenfassung aus Liedern der Anfangstage von Rainald Grebe & Die Kapelle der Versöhnung nehmen die Künstler das Publikum in Dresden mit in die „Zeitmaschine“, auf eine kleine Reise in die Vergangenheit, zum Beispiel in „Die 90er“. Oder ins Jahr „1968“ – „…reich mal den Rettich rüber…“ – „…als Bonn noch Hauptstadt war…“. Dabei ist es wirklich krass wie die Slogans der Songs so aneinandergereiht teilweise neue Inhalte bilden oder zu einfachen Phrasen verkommen. Grebe zieht das fast ohne Luft zu holen eine gute Viertelstunde durch. Da sichtlich zu bemerken viele ältere Lieder vom Publikum wiedererkannt und Einige auch mitgesungen werden, zeigt dies die Tatsache sehr deutlich auf, dass Rainald Grebe durch seine vielen Konzerte und Fernsehauftritte mittlerweile auch „Massenkompatibel“ geworden ist. Denn wie sagt er sehr treffend während der Zusage so passend…“Was ist der Unterschied zwischen mir und einem Jazzpianisten?? Der Jazzpianist spielt tausend Akkorde vor drei Leuten!“.

Aus den Boxen dröhnt leise

„Die Fete ist zu Ende […]“

Rainald Grebe, Filmnächte Dresden (Foto: Kristin Hofmann bs! 2018)
Rainald Grebe, Filmnächte Dresden (Foto: Kristin Hofmann bs! 2018)

Das „Brandenburg“ trotz mehrerer Anforderungen aus dem Publikum nicht gespielt wurde, finde ich persönlich gut, weil dieses Lied für meinen Geschmack einfach überspielt bzw. abgenuddelt ist, wie Mensch hier in „Sachsen“ sagt. Ebenso finde ich es nicht schlimm, dass Grebe nur wenig von seinen üblichen Bühnenrequisiten eingesetzt hat. Allerdings hoffe ich, dass es nur eine übertragene Bedeutung hat, wenn er die Zugabe mit „Burnout“ beendet. „Junge“, ich hoffe Mensch muss sich nicht wirklich Sorgen um Rainald Grebe machen!? Erst die Geschichte mit dem Schlaganfall und wenn ich mich an frühere Auftritte erinnere, dann hat er für meinen Geschmack schon ein wenig an Biss verloren. Nun vielleicht hat er sich mit seinem künstlerischen Output in den letzten Jahren etwas zu viel abgearbeitet bzw. überspielt oder es lag doch an den warmen Temperaturen auf und abseits von der Bühne?

„[…] Wir haben kein Material
Und was ich hier singe
Ist ja eh egal
Lass uns Volkslieder singen
Aus
Und das Volk steht auf den Brücken und tut winken
Winke winke winke und wir winken gern zurück“
(Auszug aus „Volkslieder singen“)

Rainald Grebe, Filmnächte Dresden (Foto: Kristin Hofmann bs! 2018)
Rainald Grebe, Filmnächte Dresden (Foto: Kristin Hofmann bs! 2018)

Setlist Rainald Grebe & Die Kapelle der Versöhnung:

  1. Volkslieder Singen
  2. Urlaub
  3. Multitasker
  4. Albanien
  5. Typisch Deutsch
  6. Der Bass Muss Laufen
  7. Selbstständig
  8. Morgenland Abendland
  9. Fitnessstudio
  10. Loch Im Himmel
  11. Fahrn Auf Sicht
    Break:
  12. Prenzlauer Berg
  13. Die 90er
  14. 1968
  15. Tourist
  16. Im Film
  17. Kinderlied
  18. Massenkompatibel
  19. Junge
  20. Das Anadigiding
  21. Thüringen
  22. Er Und Sie
    Encore:
  23. Zusammenhang
  24. Burnout
    (Quelle: Titelliste vom Konzert in Jena)

Weiterhören:
Rainald Grebe & Die Kapelle der Versöhnung „Rainald Grebe & die Kapelle der Versöhnung“; „Volksmusik“; „1968“; „Rainald Grebe & das Orchester der Versöhnung“; „Zurück zur Natur“ & „Berliner Republik“

Rainald Grebe „Das Abschiedskonzert“; „Robinson Crusoe Konzert“; „Das Hongkongkonzert“; „Das Rainald Grebe Konzert“ & „Das Elfenbeinkonzert“

Links:
http://rainaldgrebe.de/
http://dresden.filmnaechte.de/

Veranstalter:
Agentur Alexia Agathos

Tobias Richter
Tobias Richterhttps://www.facebook.com/mischband/
Jeder sollte einen Tobi haben. Keiner von uns hat ihn je gesehen, der Typ ist einfach zu groß und artig, der schmeißt aufgeblasene orange Dinger in Einkaufsnetze und - wie man so hört - muss sich der Ü190 Hüne dafür bücken. Eat Sleep Ball Repeat. Ansonsten ist ein Tobi einer, der Kassetten professionell aufwickeln kann, "der immer Ärger macht, der Streiche spielende Anstifter, der, der süchtig nach Furcht ist, ein Sinnbild für Gefahr." Jeder sollte einen Tobi haben. Und eine B-Seite.

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