Review: Die Sounds von gestern schon heute – Bernd Begemann (22.02.2018, Paderborn)

Es ereignete sich in den 50er Jahren, die USA und die Sowjetunion lieferten sich ein Kopf an Kopf Rennen um die Vorherrschaft der Raumfahrt. Ein Wettlauf gegen Technikversagen und Erdanziehung sollte einen entscheidenden Durchbruch ermöglichen: Die Sputnik 1 erreicht als erster Satellit die Erdumlaufbahn, eine gleichnamige Kneipe eröffnet (nur ein paar Jahrzehnte später) in Paderborn.

Wer sagt, dass Bernd Begemann noch lange nicht so bekannt sei, wie er es verdienen würde, hat Recht, aber nervt eben auch schrecklich. Einige weitere Aussagen über Bernd Begemann sind ebenso wahr wie auch ebenso nervig. Zum Beispiel, dass sich die Genialität und Witz seiner Texte erst denen offenbare, die sich eingehend mit ihm und seiner Musik beschäftigen. Oder auch, dass Bernds Talent, fließend zwischen Sexappeal und liebenswerter Tollpatschigkeit zu wechseln, so einzigartig sei, wie sein Humor.

„Checkt das aus Kids!
Vor allem die ADHS Kids!“

Eine Aufforderung, die verheißungsvolle Lacher erntet, aber in seiner Wirkung kaum mehr nötig gewesen wäre. Hier hängt seit dem ersten Ton jeder an seinen Lippen, bereitwillig mitsingend, erst leise und schräg, dann laut und schräg. Und schließlich im Duett mit Bernd. „Bald wird sich das wie ein Steppenbrand von Paderborn aus ausbreiten!“ Zumindest innerhalb des Sputniks hat es das getan.

Bernd Begemann (Foto: Daphne Dlugai bs! 2018)

Mehr Songs, mehr Anekdoten, Songs unterbrochen von Anekdoten, Anekdoten unterbrochen von Anekdoten. Bernd redet, spielt sich um Kopf und Kragen, stellt Szenen schauspielerisch dar, überschlägt sich in seinen Einfällen, schließt die Jalousien („Ich spiele schließlich nicht für Hinz und Kunz da draußen“), nur um vollkommen vertieft doch dass vor einigen Minuten begonnene Stück zu vollenden.

So viel Ego abzuarbeiten, so viele populäre Songs, aber wo soll ich nur beginnen, es sind ja schließlich alles Kracher.

Selbstironie trifft Wahrheit, das Sputnik die eine mit dem lila Twingo, Bernd den Nerv des Abends. Die Sounds von gestern schon heute, der kleine Satellit freut sich, lauscht andächtig und singt brav mit. „In einer gerechteren Welt wäre ich vielleicht Psychiater geworden“ und Paderborn bei weitem nicht so gut unterhalten, wie an jenem Abend.

Wenn man gute Manieren hat, hat man viel später Sex.

Bernd Begemann (Foto: Daphne Dlugai bs! 2018)

Wem ein Abend mit Bernd Begemann vertraut ist, weiß die kleinen, nahezu beiläufigen Lebensweisheiten zu schätzen. Genussvoll werden dabei die zuvor verwuschelten Haare gekämmt, mit dem Handtuch gekuschelt, tiefe Blicke über das Mikrofon geworfen, die Mimik sagt mehr, als es jede Beschreibung nur könnte. Leiser kann Bernd, aber nicht weniger intensiv. So kommt es, dass sich der Donnerstag anfühlt wie, … wie ein Donnerstag, wenn der nächste Tag ein Feiertag ist.

Schätzungsweise 60 Besucher führen zu schätzungsweise 60 Publikumswünschen, kein Wunder bei einer Songliste, die Plakate füllt. Immer wieder werden Zugaben gefordert, Bernd erfüllt nur die von Frauen, wie er augenzwinkernd zugibt. Dabei wird das ein oder andere Auftrittstrauma überwunden, beispielsweise die eine Mittagspause mit 600 Schulleitern Norddeutschlands.

So sehr der Wunsch nach mehr besteht, so schnell endet der Abend. Fast drei Stunden One-Man-Show mit Entertainmentfaktor, wie es ein ganzes Ensemble nicht schaffen würde. Bernd verabschiedet sich, der Paderborner Satellit kreist ein kleines Stückchen weiter um die Erde.

Galerien (by Daphne Dlugai bs! 2018):

Bernd Begemann (Foto: Daphne Dlugai bs! 2018)

Setlist:

  1. Liebling, wir haben größere Probleme als uns
  2. Die Slums von Eppendorf (le Slums du Eppendörf)
  3. Was macht miss Juni im Dezember
  4. Sie fuhr einen lila Twingo
  5. *Hier eine Improvisation einfügen*
  6. Nichts erreicht außer dir
  7. ???
  8. Der brennende Junge
  9. Wilde Brombeeren
  10. Ein Fremder in deiner Wohnung
  11. Fernsehen mit deiner Schwester
  12. Neulich auf der Orgie
  13. Nazi Tattoo Papa
  14. Judith, mach deinen Abschluss
  15. Brauch’ dich so
  16. Unten am Fluss
  17. May you never (John Martyn Cover)

Links:
bernd-begemann.de

Daphne Dlugai
Daphne Dlugaihttps://www.be-subjective.de
Daphne Dlugai. Eine lebendige Mindmap aus einem Kessel Buntes, läuft wie ein Duracellhäschen, wenn man Kaffee, kaffee, kaffee (hier als Nomen, Verb und Adjektiv verwendet) in ihr System kippt. Oder Schokolade. Im Herzen eine Disneyprinzessin (definitiv Mulan, die anderen sind zu girly),  im echten Leben Teilzeitcholerikerin, audiophil Vinyladdicted und ist Daphne ein bisschen sonderbar. Oder war es Sonderpädagogin? Wir wissen es nicht so genau. Man munkelt sie ist wegen Schokolade auf Bewehrung und versucht diese Schwäche mit Bastelkram zu kompensieren. Funzt! Alles ist schöner mit Kerzen! Sogar Kerzen.

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