Zugegeben, so 1-Tages-Festivals haben tatsächlich ihre Vorteile. Kein ewiges Gepäckgeschleppe von meilenweit entfernten Parkplätzen zu völlig überfüllten Campinggrounds, keine lauten Zeltnachbarn, keine billige Dosenbierplörre aus den Niederlanden nur um zweidreivier Euro Pfand zu sparen, keine Hygieneapocalypse und vor allem keine Suche nach diesen verdammten Heringen.
Ziemlich gute Gründe, um das Großefehn Open Air mal unter die Lupe zu nehmen. Ein Tag, zwei Hand voll Bands, ordentlich Platz, genügend Versorgung und das alles zu einem super fairen Eintrittspreis. Dafür kann mensch schon mal die Reise ins Niemandsland zwischen Leer und Aurich antreten. Im gemeinen Friesenmund heißt es zwar „In Aurich ist es traurig und in Leer noch viel mehr“, aber vielleicht ist Großefehn ja ganz OK?!
Ist mensch nach mehrmaligem Verfahren erstmal angekommen fällt die Große Parkfläche mit gut organisierten Platzanweisern direkt neben dem Veranstaltungsgelände sofort positiv auf. Am Einlass geht es entspannt zur Sache, Taschen werden kontrolliert, aber nicht verboten. Abseits der großen Metropolen mit ihren Megaevents ist die (natürlich sehr ernstzunehmende) Angst vor möglichen Gefahren in Großefehn noch nicht angekommen. Angenehm. Im Hintergrund spielen bereits Floppy Dee aus Emden ihren fröhlichen Punk Pop, um den Tag gutgelaunt einzuleiten. Sicherlich ist der Regen mit Schuld am bisherigen Gästemangel. Die Band lässt sich davon jedoch nicht groß beeindrucken und bringt ihr Set souverän mit dem Blink 182 Klassiker „All the Small Things“ zu Ende.
Kurz darauf betreten bereits Talos aus Papenburg die Bühne, um mit deutschsprachigem Hardcore etwas Bewegung in den Matsch zu bringen. Und sie schaffen es tatsächlich ein paar bunt begummistiefelte Gäste weg aus dem Schutz der Bierwägen bis vor die Bühne zu locken.
Chapeau.
Es bleibt regional. Mit Until The Moment Comes aus Aurich geht es mit diesmal englischsprachigem Hardcore in die nächste Runde. Selbstbewusst schreien die Jungs ihre Weisheiten über den immer matschiger werdenden Platz, welcher sich zunehmend mit gelben Friesennerzen, in denen sich hoffentlich auch irgendwo auch trockene Menschen verstecken, füllt.
Die Veranstalter gönnen dem Publikum eine Pause vom angebrüllt werden und stellen die Bremer Band Bukow auf die Bühne. Was klingt wie eine Mischung aus Frischkäse und einer slawischen Ortschaft irgendwo im tiefen Mecklenburg, entpuppt sich als saubere deutsche Popmusik, die das ein oder andere begummistiefelte Mädchen zum Schunkeln bringt.
Da sich Mitfahrgelegenheiten aus umweltschutzgründen immer gut im Lebenslauf machen, haben die Veranstalter sich gleich noch Grillmaster Flash aus Bremen mitbringen lassen. Cleverer Move. Auf seiner Homepage wird er als Bremer Bruce Springsteen betitelt. Wir denken, dies ist eine übertriebene Untertreibung. Was der Grillmaster hier leistet, hat Springsteen sicher noch nie gemacht: gute Laune und Sexappeal in den norddeutschen Modder nach Großefehn bringen. Die Tatsache, dass nicht ein einziger Schlübber den Weg auf die Bühne findet, ist sicherlich nur der Kälte zuzuschreiben.
Von Bremen geht’s nach Bremervörde. Anchors and Hearts. Der Bandname klingt zwar nach `nem Traummotiv für die Turnbeutel junger Hipstermädchen, aber das kann mensch schnell verzeihen. Mit ihrem Melodic Hardcore bringen Anchors and Hearts tatsächlich ordentlich Bewegung vor die Bühne und mensch kann irgendwo zwischen all den Gummistiefeln sowas wie ein Moshpit erahnen. Kaum ist die Menge warm geworden ist es auch schon wieder vorbei. Nach 40 Minuten Spielzeit verabschiedet sich die Band mit der Bitte, doch ein paar Euros für Viva Con Agua und Sea Shepherd zu spenden. Sympathisch.
Rasanter Stilwechsel. Giant Rooks betreten nach einer sehr sehr kurzen Umbaupause die Bühne und überraschen zur Freude der beturnbeutelten Hipstermädels mit leichtgängigem Indie-Pop. Ein bisschen was von einer „Ophelia“ ins Mikrofon säuseln und sich dabei durch die Haare wuscheln funktioniert gut und bringt Verzückung in die ersten Reihen. Auch wenn die Musik nicht zwingend für Jedermann und Jederfrau ist, muss man anerkennen, dass die fünf Musiker für ihr wirklich junges Alter einen professionellen und technisch einwandfreien Auftritt abliefern.
Mit den Punkrockern Montreal übernehmen deutlich dienstältere Musiker das Ruder. Die Stimmung steigt, das Mitsingen klappt. Der leere Platz vor der Bühne füllt sich zunehmend. Spätestens mit dem „Katherine, Katherine“ Cover erspielen sich Montreal die Herzen des ostfriesischen Publikums. Um die Gunst der vornehmlich weiblichen Gäste zu behalten, entscheidet sich die Band kurzerhand dazu, dem Publikum ihren lächerlich attraktiven Schlagzeuger Max Power zu opfern. Der Verlust wird lückenlos mit niemand geringerem als Sascha Madsen kompensiert. Läuft.
Kurz darauf gibt es erneutes Futter für die Hipstermädels. Hinter Lions Head versteckt sich der amerikanische Singer/Songwriter Ignacio Uriarte. Mit seiner Band präsentiert er einen Mix aus elektronischer Fahrstuhlmusik und spanischen Gitarren. Die übermäßig selbstverlieb…bewussten Musiker beschallen das Gelände mit zutiefst verdorbenen Texten und gelegentlichem, unmissverständlichen Gestöhne. Und dass um diese Uhrzeit
…denkt denn hier niemand an die Kinder?
Wem das zu viel des Guten ist, vertreibt sich seine Zeit mit der Nahrungsaufnahme oder einem Flunky Ball Spielchen auf dem Parkplatz.
Zumindest bis es irgendwann Zeit für Massendefekt wird. Punkrock aus Meerbusch. Funktioniert. Mitsingchöre werden animiert, das mit dem hüpfen klappt auch, sorgt jedoch für den ein oder anderen mit Matsch verschmierten Hintern. Das Wetter bleibt über den Tag durchweg wechselhaft. Kaum ist mensch getrocknet kommt der nächste Regenschauer. Der Platz ist mittlerweile rappelvoll. Die Veranstaltung ausverkauft. 5000 Gäste tummeln sich vor der Bühne. Vereinzelte Crowdsurfer finden ihren Weg in den Bühnengraben, wo sie von hilfsbereiten Securities in Empfang genommen werden, welche an dieser Stelle ein großes Lob verdienen. Entspannt und wirklich gut gelaunt erledigen diese an vorderster Front einen tollen Job.
Umbaupause. Ein kurzer, heftiger Wolkenbruch ergießt sich über das Gelände. Die Gäste kuscheln sich kreisförmig unter den schützenden Dächern der Bierwagen zusammen, so wie sie es aus zahlreichen Pinguindokumentationen gelernt haben. Pünktlich zu Tonbandgerät brechen die Wolken auf. Die Stunde der Frauen schlägt. Mit Sophia Poppensieker an der Gitarre und Isa Poppensieker am Bass betreten das erste Mal an diesem Tag Musikerinnen die Bühne. Mit sauberem, deutschen Indiepop abseits von „Menschen, Leben, Tanzen, Welt“ unterhalten Tonbandgerät das Publikum und haben alle Gäste voll im Griff, so kommen tatsächlich alle 5000 Hände der netten Aufforderung nach, etwas Licht mit Handys, Feuerzeugen, Glühweinen und allem anderen was leuchtet, zu machen. Romantisch, kitschig, nett. Reicht dann aber auch wieder.
OH NEIN! SCHON WIEDER MADSEN!
– denkt an diesem Abend niemand. Sondern: Madsen. Endlich. Haufenweise Marshall Amps werden auf die Bühne gerollt, das verspricht Großes. Warum die übermäßig sympathischen MusikerInnen aus dem Wendland nicht jeden Headlinerslot auf jedem Festival belegen, wird für immer ein Rätsel bleiben. Man muss nicht mal Fan der Platten sein, um sich von der Livequalität der Truppe überzeugen zu lassen. Von Sekunde eins punktet die Gruppe um die drei Madsengeschwister mit einer energiegeladenen Show. Keiner anderen Band an diesem Tag hat man den Spaß an der Musik so angesehen. Auf der Bühne herrscht Bewegung, Interaktion untereinander und mit dem Publikum. Da sind Live-Profis am Werk. Das Publikum ist wie ausgewechselt, als Madsen mit dem noch immer aktuellen „Sirenen“ ihren Auftritt beginnen. Egal ob neu oder wirklich alt, alle Texte werden aus vollen Kehlen mitgesungen. Mit einer gelungenen Coverversion von „Black Hole Sun“ wird noch einmal dem kürzlich verstorbenen Chris Cornell Tribut gezollt, bevor es mit Klassikern wie „Perfektion“, „Nachtbaden“ und „Goodbye Logik“ weitergeht. Zwischendrin gibt es immer wieder ein bisschen Metal, ein bisschen Krach, Circlepits nur für die Ladies und hier und da mal Ausfälle der Bühnen-PA, welche charmant mit Feine Sahne Fischfilets „Komplett im Arsch“ überspielt werden. Die PA-Ausfälle erreichen ihren ironischen Höhepunkt bei der Zugabe „Lass die Musik an“. Vielleicht doch zu viele Marshalls.
Und zugegeben, an dieser Stelle wäre es doch ganz schön, erledigt in sein Zelt fallen zu können.
Galerien (by Thea Drexhage bs! 2017):
- Anchors And Hearts [38]
- Bukow [21]
- Giant Rooks [25]
- Grillmaster Flash [25]
- Impressionen [34]
- Lions Head [35]
- Madsen [38]
- Massendefekt [27]
- Montreal [19]
- Tonbandgerät [15]
- Until The Moment Comes [20]
Links:
www.ubben-events.de