Das die Künstlerin Wortspiele mag und och keen Problem hat ihren heimatlichen Dialekt im Programm einzusetzen, hat sie schon auf vielen Bühnen im sächsischen Ausland bewiesen. Bei ihrem Konzert im Wohnzimmer als Teil der Veranstaltungen „Filmnächte am Elbufer“, auf der Neustädter Seite von Dresden, mit besten Blick auf die weltbekannte Silhouette der Altstadt, spielt dies für dreimalige Dresdnerin des Jahres eher eine untergeordnete Rolle.
[An der Stelle ein wichtiger Hinweis: dieser Text kann Spuren von Sächsisch bzw. typische Begrifflichkeiten der Sprache enthalten, was evtl. für die Eine oder den Anderen das Lesen ein wenig erschweren kann. Sollte dies wirklich der Fall sein, bitte das verwiesene Online-Wörterbuch weiter unten im Untergliederungspunkt „Links:“ benutzen.]
Also bloß keene falsche Scham, wir sind ja schließlich daheeme…erst Mal das schwarze Oberteil ausgezogen und ein (zugegebener Maßen) etwas zu kleines weißes Hemd wieder drüber, die grüne Schürze verfeinert dann die Abendgarderobe von Anna Mateur für diese Show, passt. Scharf bewacht von zwei freundlichen Beuys des Sicherheitspersonals links und rechts von der Bühne. Dabei verrät sie auch das Motto für den heutigen Abend – „Geheimnisvoll & Sexy“ und mischt sich schon während des ersten Songs unter das Publikum. Schließlich sei Kleinkunst ja eher was für Frauen und so haben die Männer, die mit mussten weil die jeweilige Dame des Herzens es gesagt hat, och was zu guckn. Zuvor war sie mit dem Rad direkt bis an die extra für dieses Konzert aufgebaute Klein(e)-Kunstbühne vor der Großen mit der Kinoleinwand heran gefahren.
Ihr musikalischer Begleiter und Beuy in den nächsten neunzig Minuten, Andreas Gundlach, bekommt von Anna Mateur ebenso eine Schürze (in Blau) umgebunden und dann kann es losgehen. In gewohnter „Büro für Chaos und Ordnung“-Manier bieten die Beiden dem Publikum ein Mix aus geplanter Comedy und Situationskomik, so wie selbst geschriebene Lieder bzw. interessante Neuinterpretationen. Sogar ein Flöten-Solo von Anna Mateur ist im Programm enthalten. Es gibt Jazziges, was bei einer diplomierten Jazzsängerin Nahe liegt, aber auch Hipsches Hopsches – wie sie sagt: „Deutscher HipHop mit deutschen Texten für Deutsche […]“. Chansoneskes, zum Beispiel ein Cover von Veronika Fischer oder sie nimmt einfach die Nebengeräusche mit in ihre Show auf, ob es das Gebimmel der Dresdner Hofkirche („[…] eine katholische Kirche in Dresden […]“ – noch so ein Paradoxon dieser Stadt, Anmerkung des Autors) auf der eine Seite der Bühne ist oder die ab und an vorbeifahrende Straßenbahn auf der Anderen.
Ein Highlight des Abends ist, wie sie auf annamateurisch an einem Whiteboard erklärt was C-Dur ist. Zeichnerisch wie folgt: ein Tisch steht auf einem Teppich mit Fransen – fein gekämmte Fransen natürlich – in der Mitte steht eine Vase, darunter einer Tischdecke, welche wiederum mit Metalbommeln befestigt ist, mit Metalbommeln, die aussehen wie Obst…fertsch ist das C-Dur-Bild. In diesem Sinne „Glück auf“, schließlich kommt jeder Dritte in Dresden nicht von hier, sondern aus Aue.
In den kurzen Rauc…ähmm, ich meine Kreativpausen von Anna Mateur führt Andreas Gundlach durch das Programm und zwar pianospielend mit einer Hand und dabei über Goethe bzw. Kant zitierend. Während er mit der anderen Hand jongliert oder aber einen sogenannten Zauberwürfel wieder entzaubert und in seine sechs Farben „Rihctig“ sortiert. Aus Chaos wird Ordnung, nur um danach wieder Chaos entstehen zu lassen. Dafür sorgt die Chefin höchstpersönlich schon allein durch ihre Stimme, laut, leise, hoch, tief oder och ma gegen die Straßenbahn anbrüllend. Ein typischer Satz einer Rezension an dieser Stelle wäre jetzt irgend etwas mit dem Wort Bühnenpräsenz. Ist aber im Zusammenhang mit Anna Mateur schon zu oft benutzt wurden, deshalb lasse ich es am Besten ganz sein. Beim Song „Loverman“ kommt Frau Mateur Herrn Gundlach in einer Art Lapdance sehr sehr nahe, zuerst seinem Flügel und danach ihm persönlich, während dessen er unter etwas erschwerten Bedingungen weiterspielt. Nach dieser Naherfahrung muss er wenig später als gebürtiger Hannoveraner mit seinem nicht vorhandenen Dialekt als Projektionsfläche für bekannte Wessi-Witze herhalten, „[…] wir hatten ja nüscht […]“, außer vielleicht Tote Oma (ein ossischer Begriff für das Fleischgericht Grützwurst).
Wo wir gerade beim Thema DDR angekommen sind, aus einem Liederbuch damaliger Fachliteratur darf jemand von den Zuschauern spontan ein Lied heraussuchen. Es handelt sich um den Titel „So geht es im Schnützelputzhäusel“. Einige Strophen dieses anscheinend ziemlich langen Volksliedes wird anschließend von einer Dame aus dem Publikum vorgesungen, welche sich bei der Frage, ob dieses Lied jemand kenne, als Einzige gemeldet hatte und sich nun sogar traut, das vor mehreren hunderten Menschen vorzutragen. Musikalisch wird sie dabei von Andreas Gundlach begleitet und Anna Mateur nimmt diesmal eine kurze Nebenrolle ein, in dem sie den Text pantomimisch verfeinert. Sehr zur Freude aller restlichen Anwesenden und danach erhält die Dame zurecht tobenden Beifall vom absolut begeisterten Auditorium – ganz sicher der Höhepunkt des Abends.
Dieser dann auch leider schon wieder viel zu schnell vorbei zugehen scheint. Zum Schluß gibt es „Alles vorbei“ in einer sehr gelungen „My Way“-Vortragsversion und als Zugabe zeigt Anna Mateur noch Mal, was sie alles mit ihrer Stimme anstellen kann, in Form von Hitschnipseln mit bekannten Stücken von Abba, Queen, Survivor, Tina Turner und Co. aus den 80ern. Danach macht sie das, was wenig später gewiss auch einige aus dem Publikum tun werden, denn das Veranstaltungsgelände ist teilweise direkt auf dem Elberadweg aufgebaut. Sie fährt auf eben Erwähnten wieder weg, wie sie schon am Anfang des Programms gekommen war. Allerdings nur bis zum Produkte-Verkaufsstand, wo sich die interessierte Zuschauerin bzw. der interessierte Zuschauer verschiedene annamateurische Dinge, wie das aktuelle Werk „Gut sortiert – Hörschnitzel, Vol.1“ käuflich erwerben kann. Wer will, bleibt einfach noch da und schaut sich im späteren Programm der Filmnächte am Elbufer die Dokumentation „Sie nannten ihn Spencer“ an. Mehr geht nun wirklich nicht, erst Anna Mateur live und in Farbe, dann eine Doku über Bud Spencer auf einer Leinwand zwar nicht live aber ebenso in Farbe.
Anna Mateur & The Beuys hatten jedenfalls drei bis vier Mal so viele Zuschauer, wie sonst in den üblichen Lokalitäten wie Schauburg, Scheune und Saloppe zusammen. Das Publikum einen großartigen Kleinkunstabend bei besten Sommerwetter und der Veranstalter war mit einer ausverkauften Show bestimmt auch ganz zufrieden.
Galerien (by Kristin Hofmann bs! 2017):
Setlist:
- Freejazz
- Präludium (Cover: J. S. Bach)
- Mozart (Cover: Manfred Krug)
- Essnlassn
- Gut sortiert
- Ave Maria (Cover: J. S. Bach)
- Fucking Political (Cover: Skunk Anansie)
- Doppelhaushälfte
- Um die weite Welt zu sehen (Cover: Manfred Krug)
- Imagine (Cover: John Lennon)
- Rauchiger Sommer (Cover: Veronika Fischer & Franz Bartsch)
- Dein Cabaret ist tot (Cover: Gruppe Silly)
- Volkslieder (Arrangement: Andreas Gundlach)
- Loverman (Cover: Ray Charles)
- JonglageSong (Arrangement: Andreas Gundlach)
- Alles vorbei (Cover: Manfred Krug)
Zugabe - Gewinnermedley (Protokoll einer Disko) (div. Cover)
- Besame Mucho (Komposition: Consuelo Velázquez)
Weiterhören:
- „Mutter Blamage und ihre Kinder“; „Dreckiges Tanzen und böse Geräusche“ (Koprod. mit Zärtlichkeiten mit Freunden & Jan Heinke); „Kristmässspäschell“; „Hulahoop“; „Walgesänge“ (Zusa. mit Außensaiter); „Bandaufstellung nach B. Hellinger“; „Worst Case Szenario“ (Zusa. mit Putsmarie); „Sample Oper“ (Zusa. mit Jarii van Gohl); „BadnBadn: Schwimm nicht so weit raus“ (Zusa. mit David Campesino & Samuel Halscheidt); „Screamshots: ein musikalisches Overheadprojekt für Edding, Stimme, Gitarre und Cello“ (Zusa. mit Außensaiter); „Anna Mateur & The Beuys: Protokoll einer Disco“ & „Gut sortiert – Hörschnitzel, Vol.1“
Veranstalter:
Verlag Voland & Quist
Links: