Alpha und Omega: Glückszahl 13
Totgesagte leben bekanntlich länger. Aber gilt das auch für einen selbst verordneten Suizid? Wer Ende des Jahres 2000 im Berliner Kesselhaus das ultimativ und überhaupt letzte Konzert der Dreadful Shadows erlebt hat, glaubte angesichts der persönlichen Zerwürfnisse in der Formation nicht mehr an eine Wiederauferstehung. Damals starb – unter Tränen – eine der wohl stärksten und charismatischsten Gothrock-Bands der Szene, um sich in den folgenden Jahren als Zeraphine, Solar Fake oder Thanateros wieder ins Leben zurückzuarbeiten. Mit bemerkenswerten Akzenten zwar. Aber die Herzen der Fans waren irgendwo zwischen „Estrangement“ und „Apology“ hängengelieben. Zwar erfreuten die Shadows mit einer handvoll auserlesener Reunions-Gigs ihre treuen Fans – aber als Anfang diesen Jahres Sven Friedrich und seine Mannen eine vollständige Wiederauferstehung ankündigten, tobte die Fanschar schon – um leider nach der abgesagten Tour nun bis zum Ende des Jahres 2013 warten zu müssen, um eine vollständige Reinkarnation ihrer Lieblinge zu erleben.
Im Musikzentrum in Hannover wollten die Shadows, so schien es, ihre Wiedergeburt mit ihren Fans zu feiern, als hätten sie sich alle Energie der vergangenen 13 Jahre seit ihrer Trennung für genau diesen einen Abend aufgehoben. Da entfesselte Sven Friedrich gleich zum Einstieg sich seiner Ketten, brüllte die „Chains“ ins Publikum, als wollte er jedes Glied einzeln aufsprengen, um mit „Burning the shrouds“ gleich noch einen draufzusetzen. Mit „A sea of tears“, der wohl anrührendsten Hymne der Berliner, hatten die Shadows einst den letzten Takt ihrer Bandkarriere besiegelt. Doch nun fehlte dem Song all seine Dramatik und Schwere – wie auch dem Spiel der Band. Da lächelte ein Sven, er lachte mit dem Publikum, da begann ein „Jenne“ Jens Riediger zu fortgeschrittener Stunde am Bühnenrand zu wippen – und trotz einiger Kilogramm mehr die Fans zu rocken. Ja, die Shadows sind ganz offensichtlich zurück – kraftvoller und energiegeladener als jemals zuvor. Klassiker wie „Dead can wait“ oder „Desolated home“ oder die damals wie heute geniale Coverversion von „Twist in my sobriety“ fehlten ebenso wenig „Craving“ oder „Beyond the maze“. Teilweise in neues Gewand gekleidet, klang jeder Song wie „Shadows hoch fünf“, machte sowohl Band als auch Publikum Spaß, inklusive der Zugaben „Funeral“ oder „Futillity“. Da standen Profis auf der Bühne, die sich selbst neu erfunden und zu alter, nein!, zu noch mehr Stärke zurückgefunden haben.
Doch dessen nicht genug, betrat nach den Shadows noch eine weitere Rarität die Bühne: Nach eigenem Bekunden das letzte Mal 2006 in Hannover gewesen, stand das Publikum nur wenige Minuten, nachdem die letzten Takte der Dreadful Shadows verklungen waren, schon parat, um die Zeromancer auf der Bühne zu begrüßen. Als Alex Møklebust die „Sinners“ hochleben und den „Doppelgänger“ zum Schattenboxen aufgefordert hatte, tanzte und hüpfte und feierte Hannover schon längst. Und da war klar, wer dort im Musikzentrum wirklich erwartet worden ist: Jemand, der „Stop the noise“ als Ansporn nimmt, bis zum Zerbersten aufzudrehen. Zwar ist die Zeit der unterarmlangen, haarigen Silberstacheln auf dem Kopf des Frontmanns vorbei und einer fast braven Scheitelfrisur gewichen, doch an provokanten Posen fehlt es dem androgyn wirkenden Norweger nicht: Da fordert er lasziv das Schlagzeug heraus, da würde er am liebsten den Mikroständer um die Hüften wickeln. Und weil die Formation aktuell ihr Best-of-Album „Something for the Pain“ promoten, feierten die Fans ein Fest von Zeromancer-Highlights aus 13 Jahren Bandgeschichte: „Dr. Online“ ebenso wie „Cupola“ oder „Need you like a drug“. Sie rundeten ihr Gastspiel in der niedersächsischen Landeshauptstadt mit ihrer balladenartigen Hymne „Houses of cards“ und ihrem ersten großen Wurf vom gleichnamigen Debütalbum „Clone your Lover“ ab.
Alles in allem ein runder Abend, der die 13 ganz offensichtlich zur Glückszahl gemacht hat – und voll ins Schwarze zu treffen.