Irgendwie ist heute alles anders. Das Gewohnheitstier findet sich durch einen Baustellen-Parcours zur Swiss Life Hall, fädelt sich durch Menschenschlangen, wird metalldektoriert, kontrolliert und – das ist nicht neu, sondern wirklich professionell – von freundlichen Securety-MitarbeiterInnen begrüßt. Die Garderoben scheinen unter der Last der Winterbemäntelung zu bersten und Viva Con Aqua schwenkt freundlich Fähnchen im Foyer.1
Irgendwie ist heute alles..
a n d e r s. Das Abenteuer witternd sickert die Masse in einen rotnebeligen Innenraum der Halle, befüllt die Ränge und muss nicht lang warten. The Dirty Nil, die dreckigen Nullen aus Ontario, eröffnen laut, verzerrt und kontrolliert unkontrolliert. Der Countdown beginnt also bei Null. The Dirty Nil tropfen ins Rot deklinieren jede Rock’n’Roll-Pose durch und versuchen alles, wirklich alles, um evil zu knurren, dem Publikum eine rotzige und gefährliche Attitüde entgegenzuschleudern, zu beeindrucken.
Versuchen impliziert scheitern. »Trying and failing and trying again anyways.«
Doch The Dirty Nil haben – hierin sind sie Billy Talent nicht unähnlich und insofern als Support sicherlich keine Fehlbesetzung – Songs mit Single-Qualität im Repertoire. Insbesondere Zombie Eyed oder Friends In The Sky wirken wie Singles, die – mehr als radiotauglich – Erfolg haben dürften. Ob die dreckigen Drei aber von Null auf Hundert durchstarten, entzieht sich unseren Geschmacksknorpeln.
»You were a nightmare baby, and I don’t know why I love you like I do.«
Monster Truck. Endlich was für die Rock Hexe. Das Lichtkonzept ist so linsenfeindlich wie gehabt, aber die langhaarigem led’rigen Truck-Rocker haben eine Präsenz, die aus einer Zeit kommt, da Menschen noch Musik gemacht haben, weil sie nicht anders können, weil sie sind und leben was sie tun und nicht, um auf #instahell #hashtagstar #whatthefuck zu verkaufen, was mensch glaubt sehen und hören zu wollen. Monster Truck fahren die Karre volle Kraft voraus gegen die Wand aus Sound und Spaß. Wir genießen unangeschnallt das Adrenalin.
„I am the story of a man.
Who makes his way on his own.
Don’t need no kind of direction from no one.
I got myself a pretty old soul.
Ain’t nobody gonna tell me how to live“
»Sittin’ Heavy« ist wörtlich zu nehmen und wir krallen die versauten Finger ins imaginiert Griffbrett. Monster Truck – sorry Billy – sind das heimliche Highlight des Abends, sicher nicht für die Talent-Fan-Front, aber für eine ungenannte Frau auf dem Sozius, die mit den kanadischen Kraftrockern gern noch `ne Runde ohne Stoßdämpfer über die Piste heitzen würde, bevor Billy Talent ins Steuer greifen und die Schüssel irgendwo bei Punk-College-Rock Alternative Rock parken.
„Time and time again, I was told
Stay away from her, she’s a witch
But I got hooked on her siren song
And she cured my every itch.“
Man kann hier neidlos anerkennen: Billy Talent komplementieren der kanadischen Freitag mit einigen Superlativen. Die Hütte ist voll, der vielkehlige Jubelschrei des Publikums, der scheinbar – Surprise surprise – den Bühnenvorhang zum Fallen bringt, ist durchdringend und – Spoiler – die Talent-Show lässt selbst Fans auf den hintersten Rängen bis zum letzten Song durchtanzen, Crowd-Surfen und bringt die Nerven vieler Mädchen zum Flattern.
Billy Talent – auch wenn mensch sich hier musikalisch nicht wiederfindet – setzen auf Bewährtes aus der Showzauberkiste, sind professionell, handshaken mit dem Roadie, bespielen ihre fantastisch-theaterhafte Bühne sogar auf halber Höhe, sprechen sich für ein friedliches Miteinander von Menschen jeglicher Couleur aus und nehmen – nicht nur abstrakt – Partei für die Schwächeren.
“Do me favour – take care of all these ladies!” (Ben Kowalewicz)
Zerquetscht werden kann das ein oder andere Menchlein an diesem Abend jedoch nicht nur in Circle Pits oder durch den Druck der Reihen auf den Bühnengraben. Die Soundwand – wenn man es denn so nennen darf – die für Billy Talent aufgefahren wird, schleudert uns durch den Raum, lässt uns gegen die Rückwand der Halle knallen und hätte uns sicherlich die Klamotten vom Leib gepellt, wären wir nicht hinter einer Bar in Deckung gegangen.
Louder Than …
Von ExpertInnenSeite heißt es, mensch gehe ›ja schließlich auch nicht zu einem Billy Talent Konzert, um dort zu kuscheln‹. Leider ist uns die Begründung dafür, warum genau mensch ›lauter‹ und ›härter‹ mit ›geiler‹ gleichsetzt im Ironie for Beginners-Selbsthilfe-Absatz irgendwie abhanden gekommen und warum sich Körperkontakt und Konzertgenuss genuin ausschließen sollen, wenn mensch sich die ›Sticky Fingers‹ nicht in die Ohren stopfen muss, haben wir auch noch nicht ganz ausgefüßelt, aber wir setzen einfach ein paar Gänsefüßchen und nennen den Sound „speziell“. Passt schon.
Fans glücklich und taub. Was sollen wir meckern.
Galerien:
- Billy Talent (02.12.2016, Hannover) [37]
- Monster Truck (02.12.2016, Hannover) [28]
- The Dirty Nil (02.12.2016, Hannover) [30]
Setlist Billy Talent:
- Devil in a Midnight Mass
- This Suffering
- Big Red Gun
- This Is How It Goes
- Rusted from the Rain
- The Crutch
- Leave Them All Behind
- White Sparrows
- Pins and Needles
- Surrender
- River Below
- Saint Veronika
- Surprise Surprise
- Afraid of Heights
- Louder Than the DJ
- Devil on My Shoulder (Bridge with „Hannover-… more )
- Red Flag
Encore - Fallen Leaves
- Try Honesty (Ben told the audience that… more )
- Viking Death March
Setlist Monster Truck:
- Why are you not rocking?
- Old train
- Don’t tell me how to live
- The enforcer
- She’s a witch
- For the sun
- Seven seas blues
- Don’t tell me how to live
- New soul
- The lion
Setlist The Dirty Nil:
- No Weaknesses
- Cinnamon
- Zombie Eyed
- Violent Hands
- Fucking Up Young
- Know Your Rodent
- Bruto, Bloody Bruto
- Friends in the Sky [Video-Empfehlung]
- Wrestle Yü to Hüsker Dü
- Nicotine
Links:
www.billytalent.com
www.ilovemonstertruck.com
www.facebook.com/thedirtynil
Anmerkungen:
1 Pluspunkt für die Wasserinitiative, denn bei Bierpreisen, die einer Monatsmiete nahekommen, sind freiwillige Becherspenden jeder 5€ Zwangsspende vorzuziehen und sorgen auf allen Seiten für gute Stimmung.