Review: Archive – Kings Of The False Foundation Tour (23.11.2016, München)

Wir wurden schon vorzeitig am Eingang der Muffathalle informiert, dass der Tourbus von Archive eine Panne hat und mit erheblicher Verspätung zu rechnen sei. Aber die Münchner sind ja bekanntermaßen ein geduldiges Publikum, und so warten wir ohne Murren vor dem riesigen Vorhang aus bodenlangen, weissen Fäden, der über die gesamte Breite und Höhe der Bühne gehängt ist.

Um 21.30 Uhr schleichen sich dann schattenhafte Gestalten an ihre Instrumente – und die Londoner Formation um die Gründer Danny Griffiths und Darius Keeler eröffnen mit dem kraftvoll geladenen „Driving In Nails“ vom aktuellen Album „The False Foundation“ die Show. (Der Support Act „Dr(Dr)one“ fällt bei uns durch die Verspätung leider flach.) Die Bühne ist in blutrotes Licht getaucht.

Driving in nails, just driving in nails,
just driving in nails, just driving in nails …

setzt Pollard Berrier’s hypnotischer Sprechgesang ein und er wiederholt die Worte eindringlich – wie ein beschwörendes Mantra. Der Sänger trägt einen schwarzen Hut mit breiter Krempe und sieht aus wie ein Schafhirte der gerade aus einem Gebrüder-Grimm-Märchen entsprungen ist.

Archive (Foto: Axel Ganguin bs!)
Archive (Foto: Axel Ganguin bs!)

Der Vorhang wird zur lichtdurchlässigen Riesenleinwand, als per Beamer farbintensive Grafiken zum maschinenhaften Beat projiziert werden. Das Wort Welcome erscheint, Totenköpfe und geometrische Formen tauchen auf und verschwinden wieder. Die Bilder zucken frontal in Richtung Bühne – treffen beim Erstkontakt auf die hängenden Schnüre – dann durch die Zwischenräume auf die Band und schließlich noch auf eine Leinwand dahinter. Zusätzlich strahlt die Lichtanlage farbige Kegel von oben durch den Vorhang. Ein unglaublicher Effekt auf drei Ebenen – kaum zu beschreiben.

Ich bin erstmal wie Erschlagen von dem unerwarteten Sinnesreiz: Fotografien, Symbole und farbige Lichtfetzen jagen in affenartigem Tempo über Bühne und Musiker. Grelle Blitze fegen dahin und verschmelzen mit den pulsierenden Beats und dem treibenden Groove von „Pulse“, dem nächsten Song, den die Band nahtlos hinterherschickt. Steve Barnard (Smiley) bearbeitet präzise wie ein Metronom sein Drumset und Dave Pen entlockt seiner E-Gitarre metallische Sounds, die aggressiv und anmutig zugleich sind.

Das Publikum erwacht aus der Schockstarre der ersten Minuten und wiegt sich nun im Rhythmus der einnehmenden Klangcollagen der Briten. Jetzt wird auch klar, wie genial das Konzept ist, denn dichter kann man wohl kaum Beleuchtungstechnik und Sound zusammenbringen. Was für ein Erlebnis. Man lässt sich tragen vom Zusammenspiel der Soundatmosphären und markanten Symbolen, von farbenprächtigen Animationen und kurzen Filmsequenzen. Ein Rausch an Farben und Klängen. Tausende von kleinen weissen Lichtern werden plötzlich zur Sternengalaxie. Katzen, Schweine und geklonte Menschen tanzen über den Vorhang, der die Band vom Publikum trennt.

Archive (Foto: Axel Ganguin bs!)
Archive (Foto: Axel Ganguin bs!)

Ausgetüftelt hat die Tourvisuals das spanische Kreativ-Kollektiv NYSU, mit denen Archive auch schon das düstere Werk „Axiom – Stories From The City“ realisiert haben. Im Hinblick auf die Tour sagte Darius Keeler: „Schon beim letzten Mal haben wir die Latte ganz schön hoch gelegt. Einige der Konzerte waren die besten, die wir je gespielt haben. Aber genau das ist auch die Herausforderung, das Niveau als Live-Band jetzt noch weiter zu steigern, auf Höhen, die wir bislang noch nie erreicht haben.“

Geometrische Lichtkäfige drehen sich langsam im blauen Licht als Holly Martin die Bühne betritt und „Kid Corner“ intoniert:

Come around / Tie them down
Hear the sound / Let them drown
Or they’ll find a way to shoot you down …

Holly’s Erscheinen sorgt für Abwechslung und wird spontan mit tosendem Beifall quittiert. Irgendwann fällt dann auch unbemerkt der Vorhang zu Boden – die optische Trennwand reisst ein, um der Band nun einen direkten Kontakt mit den Fans zu ermöglichen. Die Abgrenzung wird dadurch aufgehoben, die Projektionen und die prächtige Lightshow gehen aber mit unverminderter Intensität weiter.

Sieben Männer und eine Frau bilden die aktuelle Tourbesetzung von Archive und dieses eingespielte Team beherrscht die Mischung aus melodischen Klängen und tiefgängigem Elektro-Sound auf meisterliche Art. Ich habe die Band durch ihr 2002 erschienenes Werk „You All Look The Same To Me“ kennengelernt und bin seitdem immer neugierig auf jedes neue Album von ihnen. Es macht Freude zu sehen, wie sich die Formation immer weiterentwickelt und sich ihre Musik dabei verändert. Das kommt auch bei ihren Anhängern an – ihre Fangemeinde wächst stetig Jahr für Jahr, das lässt sich gut bei ihren Konzerten an den immer größer werdenden Hallen sehen.

Archive (Foto: Axel Ganguin bs!)
Archive (Foto: Axel Ganguin bs!)

Nach zwei Stunden und zwei ausgiebigen Zugaben, in denen uns die neuen Songs sowie Stücke von den älteren Alben im Wechsel präsentiert wurden, verlassen die mystischen Könige des Licht- und Klangzaubers, ihr nun gänzlich in Dunkelheit gehülltes Bühnenreich.

 

Fotos und Text: Axel Ganguin.

Galerien:

Setlist:

1. Driving In Nails
2. Bright Lights
3. Pulse
4. Sell Out
5. You Make Me Feel
6. Splinters
7. Stay Tribal
8. Feel It
9. The Weight Of The World
10. The False Foundation
11. Bullets
12. Crushed
13. Blue Faces
14. Hatchet
15. Kid Corner
16. Controlling Crowds
17. Again
18. End Of Our Days

Links:
www.archiveofficial.uk
www.youtube.com/user/archiveofficial/videos

Axel Ganguin
Axel Ganguinhttp://www.ganguin.com
Axel Ganguin hat ungeduldig die Alchemie der Worte studiert. In alten Büchern, in farblosen Flamingos, in einem Traumzauberbaum. Er hat sie in den Wolken gesucht. In Italien. Im Rotwein. Im Regen. Und manchmal geht er barfuß ins Bett. Er hat die Farbe der Vokale ausgespuckt wie eine tote Auster. Er schrieb ein Schweigen in die Glut und hat sich als Grafik-Designer erfunden. Axel trägt die Klamotten von Nick Drake auf und küsst die Nacht, bis der Spannungsbogen albern knistert. Axel lässt sein Vokabular für uns „mit unversehrtem, bösartigem Herzen, mit einer tyrannischen Unschuld“ zur Ader.

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